Die Bank of China gibt den E-Yuan heraus.

Die chinesische Volksbank gibt den E-Yuan heraus. Foto: Max12Max unter CC BY-SA 4.0

Nirgendwo haben elektronische Zahlungsverfahren Bargeld so stark zurückgedrängt wie in China. Trotzdem forciert die Notenbank nun zusätzlich einen digitalen Yuan. Was sind die Gründe dafür? Was wird sich dadurch in China ändern? Und wieso sollte uns das interessieren?

Wer in den letzten Jahren in China unterwegs war, dürfte festgestellt haben: Für ausländische Besucher ist es schwer geworden, Geld auszugeben. Wird Bares überhaupt angenommen, fehlt dem Verkäufer oft das Wechselgeld. Häufiger kommt es jedoch vor, dass beim Bezahlen nur noch das Handy akzeptiert wird. Selbst Strassenhändler oder Bettler bevorzugen mittlerweile elektronisches Geld.

Quer dazu geistern seit geraumer Zeit Meldungen durch die Medien, dass China einen „digitalen Yuan“ einführen will, eine Art staatlicher Bitcoin. Lange habe ich nicht verstanden, wozu es diese zusätzliche Digitalwährung braucht, zumal Bargeld bereits jetzt nur noch eine marginale Rolle spielt. Deswegen habe ich mich ein paar Tage durch die Literatur zum Thema gewälzt und bin erstaunt, dass der digitale Yuan nicht viel höhere Wellen schlägt. Denn seine Bedeutung lässt sich kaum übertreiben. Er hat das Potential, das weltweite Finanzsystem umzukrempeln.

In diesem Artikel möchte ich zuerst erklären, was der Unterschied ist zwischen den bestehenden digitalen Bezahlsystemen und der neuen digitalen Währung. Weiterhin zeige ich, welche strategische Bedeutung der digitale Yuan hat. Am Ende wage ich einen Ausblick, was das für China und den Rest der Welt bedeuten könnte.

 

Was ist überhaupt eine digitale Währung?

Aktuell wird der mobile Zahlungsverkehr von den beiden grossen Playern WeChat-Pay und Ali Pay beherrscht, die im Jahr 2019 zusammen rund 93 Prozent aller mobilen Transaktionen auf sich vereinten. Sie (sowie ein paar weitere, kleine Konkurrenten) werden unter dem Begriff „Drittanbieter von Bezahldienstleistungen“ summiert. Bei ihnen handelt es sich um keine digitalen Währungen im eigentlichen Sinn.

Doch was macht nun eine digitale Währung aus? Sie lässt sich am besten mit einer digitalen Banknote vergleichen. Der geplante E-Yuan wird als Token von der chinesischen Zentralbank ausgegeben, die diese wiederum an die Geschäftsbanken weitergibt und so in Umlauf bringt. Wie Bargeld ist der digitale Yuan in festgelegte Devaluationen gestückelt und jeweils mit einer Seriennummer versehen.

Der Yuan wird im Handy oder auf dem Computer gespeichert. Ein Bankkonto soll nach aktuellem Kenntnisstand für die Aufbewahrung der digitalen Münzen und Noten genauso wenig nötig sein, wie eine Internetverbindung. Die Bezahlung funktioniert über NFC (Near-Field-Communication), wodurch Transaktionen auch in einem Funkloch möglich sind. Die Aufbewahrung von digitalen Yuan wäre theoretisch auch auf einer Speicherkarte denkbar, allerdings habe ich widersprüchliche Aussagen darüber gefunden, ob das vorgesehen ist.

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Selbst die kleinen Strassenrestaurants akzeptieren kaum noch Bargeld.

Die strategische Dimension des digitalen Yuan

Erstmals hat die chinesische Regierung die Schaffung einer digitalen Währung im Jahr 2013 angekündigt. Dannach blieb es lange still. Erst 2017, als zwischen China und den USA Handelsstreitigkeiten ausbrachen, kam Schwung in die Angelegenheit. 2020 wurde schliesslich das DCEP (Digital Currency Electronic Payment) eingeführt, so der sperrige offizielle Name des E-Yuan; vorerst in vier Städten und in Zusammenarbeit mit gerade einmal hundert Läden. Doch sobald die Testphase erfolgreich abgeschlossen ist, soll die Währung breit ausgefahren werden. Dann wird China zur ersten grösseren Volkswirtschaft mit einer eigenen Digitalwährung.

Die plötzliche Eile erklärt sich durch die strategische Bedeutung des E-Yuan. Dazu muss man Folgendes wissen: Internationale Überweisungen werden in der Regel über die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (kurz: SWIFT) ausführt. Das ist eine internationale Organisation mit Sitz in Belgien. Sie koordiniert den internationalen Zahlungsverkehr zwischen rund 11.000 Banken in fast 200 Ländern.

Das System funktioniert grundsätzlich gut, hat aber aus chinesischer Sicht mehrere Makel. Da alle Zahlungen auf Dollarbasis getätigt werden, sind sie Kursschwankungen unterworfen. Das macht Überweisungen teurer und schränkt die Planungssicherheit der Betriebe ein. Ein weiterer Minuspunkt: Die USA haben Zugriff auf die vertraulichen Transaktionsdaten.

Schwerer wiegt, dass die USA die Möglichkeit haben, China aus dem Swift-System auszuschliessen. Das könnte etwa geschehen, wenn sich die USA nach einer allfälligen Taiwan-Invasion zu harten Sanktionen entschlössen. Ohne Swift wäre China faktisch vom Weltmarkt ausgeschlossen. Das brächte verheerende wirtschaftliche Folgen mit sich. Dieses Szenario ist zwar unwahrscheinlich, aber durchaus kein reines Gedankenspiel. Das zeigen der Iran, Nordkorea oder Kuba. All diese Länder können auf amerikanischen Druck nicht an Swift teilnehmen.

 

Die Entschärfung möglicher Sanktionen

Es muss nicht ganz so heftig kommen. Im vergangenen August haben die USA wegen der umstrittenen Wahlverschiebung in Hongkong die dortige Regierungschefin Carie Lam sowie andere hochrangige Regierungsvertreter mit Sanktionen belegt. Zum einen wurden ihre Vermögen auf amerikanischen Banken eingefroren. Zum anderen wurde amerikanischen Firmen und Personen untersagt, mit Lam und Co. Geschäfte zu machen. Die Folgen der Sanktionen dürfte sie schnell an den nutzlos gewordenen Kreditkarten erlebt haben.

Vor dieser als Bedrohung empfundenen Lage lässt sich leicht verstehen, wieso Huang Qifan, stellvertretender Chef des Think Tanks China Center for International Economic Exchanges (CCIE), sagte, dass China ein von Swift unabhängiges System erschaffen müsse. Offizielle Begründung damals war, dass der westliche Zahlungsabwickler langsam, teuer und veraltet sei. Die strategische Bedeutung einer alternativen Zahlungsabwicklung hatte er aber ohne Zweifel zumindest im Hinterkopf.

Der digitale Yuan, für den es nichts weiter als zwei Handys braucht, wird China vom US-kontrollierten Finanzsystem unabhängiger machen. Zahlungen sind dann nicht mehr durch die amerikanischen Geheimdienste sondern nur noch durch die chinesische Zentralbank verfolgbar. Und vor allem: China müsste sich nicht mehr vor Sanktionen fürchten.

Allerdings: Eine Schwachstelle dürfte vorerst bestehen bleiben. Um mit chinesischen E-Yuans zu handeln, muss man eine chinesische Software herunterladen, was sich aber auf einem amerikanischen Betriebssystem vermutlich unterbinden liesse. Mittelfristig wäre es deshalb strategisch sinnvoll, auch ein unabhängiges Betriebssystem für Smartphones aufzubauen. Harmony OS von Huawei scheint bereits erste Schritte in diese Richtung zu gehen.

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Der digitale Yuan wird das Papiergeld bald ersetzen

Ein Auslaufmodell: Chinesisches Papiergeld.

 

Der digitale Yuan als Krisenmanager

Der digitale Yuan hat nicht nur eine geopolitische Komponente, sondern stärkt auch die Kontrolle der Regierung im eigenen Land, insbesondere in verschiedenen Krisensituationen.

Da in China mittlerweile fast alle Transaktionen über das Handy erfolgen und kaum noch jemand Zugriff auf analoges Geld hat, würde ein längerer und grossflächiger Internet-Ausfall auch ein Ausfall des gesamten Zahlungsverkehrs bedeuten. Nicht so der E-Yuan. Der würde weiterhin funktionieren. Auch dieses Szenario ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Als es vor zehn Jahren in Xinjiang Aufstände gab, hatte die Zentralregierung der ganzen Provinz während zehn Monate das Internet vollständig abgedreht.

Seine Stärke zeigt der E-Yuan auch bei allfälligen Reaktionen auf eine Wirtschaftskrise. In der Vergangenheit hat China in schweren Zeiten oft massive Konjunkturpakete geschnürt: Auf die Finanzkrise 2008 reagierte Peking, indem es 458 Milliarden Euro in die eigene Wirtschaft pumpte. Das Paket in Folge der Corona-Krise 2020 lag mit „nur“ 128 Milliarden Euro deutlich tiefer.

Die meisten Ökonomen betrachten Helikoptergeld zur Förderung des Konsums mit kritischen Augen. Insbesondere in Krisenzeiten ist die Gefahr gross, dass die Empfänger das Geld nicht wie vorgesehen ausgeben, sondern für noch schwerere Tage zur Seite legen. Ein programmierbarer E-Yuan wäre deswegen ein Gamechanger. Er ermöglicht, die Fördermittel viel feiner einzusetzen. Beispielsweise liesse sich festlegen, dass ungenutzte Gelder nach einer Weile verfallen. Auch wäre möglich, die Annahme auf bestimmte Landesteile oder Geschäfte zu beschränken. Der Phantasie sind zumindest technisch kaum Grenzen gesetzt. Was tatsächlich kommt, wird sich erst zeigen müssen.

 

Der digitale Yuan zur Volksüberwachung

Auch wenn die finale Währung noch nicht vorgestellt wurde, ist bereits bekannt, dass der E-Yuan nicht auf der anonymen Blockchain basieren wird. Der chinesische Markt sei für Kryptowährungen zu gross, begründete Li Lihui, ehemaliger Präsident der Bank of China. Das ist in der Tag nicht ganz abwegig, denn bei der Blockchain braucht jeder zusätzliche Coin überproportional mehr Rechenleistung.

Das bedeutet aber auch: Mit entsprechender Rechenleistung und Big Data Analysen werden sich die Geldströme bis in die hintersten Ecken der Wirtschaft verfolgen lassen. Dadurch können die ohnehin gläsernen Bürger noch genauer durchleuchtet werden – zumal die digitalen Geldbeutel mit einer Handynummer verknüpft sind, für deren Kauf man sich ausweisen muss. Wer als Systemgegner auffällt oder einen besonders schlechten Creditscore hat, dem könnte aus der Ferne problemlos das Geld gelöscht werden.

Das eröffnet nicht nur völlig neue Möglichkeiten für den Überwachungsstaat, sondern erlaubt auch gezielte Massnahmen zur Volkserziehung: Eine mögliche Anwendung wäre, eine Höchstmenge festzulegen, die jede Person für ein bestimmtes Produkt ausgeben darf. Das ist kein erfundenes Beispiel. Laut chinesischen Medienberichten ist bereits seit mehreren Jahren ein Gesetz in Kraft, in dem festgelegt wurde, wie viel Geld jeden Monat maximal für Videospiele ausgeben werden darf. Ist die Grenze überschritten, muss der Käufer warten. Damit soll die als problematisch empfundene Videospiel-Sucht verhindert werden.

Das klingt alles ziemlich dystopisch. Aber natürlich hat die Überwachung auch Vorteile. Sie könnte etwa helfen, den in China weitverbreiteten Steuerbetrug zu erschweren. Im Idealfall führt dies zu einer grösseren Steuergerechtigkeit und vielleicht sogar zu sinkenden Steuersätzen. Bei grösseren Infrastrukturprojekten ist es in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass öffentliche Gelder in den Taschen von Beamten verschwanden. Eine stärkere Überwachung könnte auch zu weniger Korruption führen.

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Der digitale Yuan hilft, einen Überblick über die Wirtschaft zu behalten.

Der digitale Yuan hilft, einen Überblick über die Wirtschaft zu behalten.

Die langerfristige Perspektive

Die Abschaffung des Papiergelds ist von Peking erwünscht, dürfte aber auch ohne Druck schnell vollzogen sein. Immerhin kennen und schätzen die meisten Chinesen bereits die Bequemlichkeit des bargeldlosen Zahlens, woran sich auch durch den E-Yuan nichts ändert. Bedenken beim Datenschutz sind in China generell kaum ausgeprägt.

Interessanter ist die Frage, ob sich der E-Yuan auch im internationalen Handel wird durchsetzen können und ob auch wir künftig mit der digitalen Währung zu tun haben werden. Darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Zwei Dinge zeichnen sich aber bereits jetzt ab: Erstens werden digitale Währungen internationale Transaktionen beschleunigen und (da kein zwischengeschaltetes Finanzinstitut etwas verdienen will) auch günstiger machen, so dass eine Verlagerung vom Swift-System zu den digitalen Währungen kaum zu vermeiden ist. Offen ist lediglich, ob es westlichen Ländern gelingt, rechtzeitig eine Alternative zur chinesischen Währung zu lancieren. Denn die Währung, die als erste am Start ist, dürfte die Standards setzen.

Zweitens sind staatliche Digitalwährungen anders als die klassischen Kryptowährungen im Stil von Bitcoin in der Regel preissstabil. Daher dürfte sich der E-Yuan auch zur Speicherung von Vermögenswerten eignen. Das macht digitale Währungen insbesondere auch für Wohlhabende attraktiv, die in Ländern mit hoher Inflation leben. Hier dürfte auch eine Rolle spielen, dass insbesondere bei grossen Summen die Lagerung einfacher ist: Es braucht keinen physikalischen Platz und Diebstähle sind wegen der leichten Verfolgbarkeit eher unwahrscheinlich.

Die Chancen stehen daher gut, dass wir uns in den kommenden Jahren an den E-Yuan gewöhnen müssen. Sicherlich bei Reisen nach China, vermutlich aber auch in vielen anderen Situationen.

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2 Kommentare

  1. Hallo Oliver,

    vielen Dank für diese interessante Zusammenfassung. Vieles war mir tatsächlich nicht klar. Finanz-Nachrichten gehören nämlich nicht zu den Dingen, die ich mit großen Freuden lese.

    Etwas kommt mir aber zu kurz beziehungsweise würde mich noch genauer interessieren. Du schreibst, dass die erste Währung die Standards setzt. Was meinst damit genau? Und was ich vor allem auch interessant fände: Wäre es möglich eine datenschutzkonforme Digitalwährung zu schaffen?

    Gruss,
    Nick D

    1. Hallo Nick,

      das habe ich bewusst kurz gefasst, weil ich die Technik hinter den Währungen zu wenig gut verstehe und keinen Unsinn schreiben will. Aber: Soweit ich das verstanden habe, ist der Datenschutz bei den digitalen Währungen so ein bisschen ein Trade-Off. Viele ihrer positiven Seiten wie etwa das programmierbare Helikoptergeld dürften sich mit einem starken Datenschutz beissen. Da wird es bei uns in Europa noch viel Diskussionsbedarf geben, was eine zukünftige europäische E-Währung wird können dürfen und was nicht.

      Gruss,
      Oli

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