Eigentlich klingt es verlockend: Jede Menge Feuerwerk, lang getrennte Familien finden zueinander und die Menschen veranstalten zahlreiche kulturelle Aktivitäten. Der Reisealltag sieht indes anders aus. In diesem Artikel verrate ich, wieso das Frühlingsfest die schrecklichste Zeit ist, um China zu bereisen.
China tickt anders. Die wichtigsten Festtage im Reich der Mitte sind nicht wie bei uns im Westen Weihnachten und Neujahr, sondern sie gruppieren sich rund um das chinesische Frühlingsfest, das oft auch als Chinesisch-Neujahr bezeichnet wird.
Der traditionelle chinesische Mondkalender hat (zumindest bei rituellen Dingen) noch immer einen grossen Einfluss. Auch wenn sich im praktischen Alltag der westliche Kalender durchgesetzt hat, beginnt bei den meisten Chinesen der neue Zeitabschnitt nach wie vor mit dem ersten Tag im neuen Jahr nach dem chinesischen Kalender. Übrigens beginnt dann in vielen Firmen auch das neue Geschäftsjahr.
Naturgemäss stiftet es jede Menge Verwirrung, wenn zwei Kalender gleichzeitig verwendet werden. Insbesondere bei den Geburtstagen ist es im Gespräch oft nicht so ganz klar, ob nun der westliche oder der chinesische Kalender gemeint ist. Macht nichts: Notfalls gratuliert man eben zwei Mal.
Das wichtigste Fest des Jahres
Das chinesische Frühlingsfest ist aber auch aus einem ganz praktischen Grund für viele Chinesen immens wichtig. Im Riesenreich arbeiten Millionen von Menschen fernab ihrer Heimat auf Baustellen oder in Fabriken. Studenten büffeln ebenfalls oft nicht in ihrer Heimatstadt, sondern in über tausend Kilometer entfernten Hochschulen. Für viele von ihnen ist das Frühlingsfest eine der wenigen Möglichkeiten, die im ganzen Land verstreute Familie zu treffen.
Mein Verhältnis zu den Festtagen als ein zuvor in China lebender Ausländer und als Chinareisender ist hingegen getrübt. Als ich in China arbeitete, hatte ich selber während dieser Tage eine Woche bezahlten Urlaub. Ich habe alles mögliche versucht, mit der Zeit anzustellen: In Peking zu bleiben, in China herumzureisen, auf den Urlaub zu verzichten oder ins nahe Ausland zu fliehen.
Nichts hat für mich so recht gepasst: Wegen den vollen Zügen war es kaum möglich, spontan im Land zu reisen und Flüge ins Ausland waren extrem teuer. Auch arbeiten und Filme schauen war nichts: Beim ständigen Feuerwerk konnte ich mich auf nichts richtig konzentrieren.
Deswegen mein Tipp: So verlockend es auch klingen mag, China während des Frühlingsfests zu besuchen: wenn das wirklich dein Plan ist, dann solltest du dir das noch einmal ganz genau überlegen. Um dir bei der Entscheidung zu helfen, verrate ich dir meine sechs Gründe, wieso ich vom Unterfangen eher abrate.
Grund 1: Züge sind ausverkauft
Das vermutlich grösste Problem beim Reisen rund ums Frühlingsfest ist praktischer Natur. Da in dieser Zeit Millionen von Chinesen unterwegs sind, ist es auf fast allen Strecken schwer, eine Zugfahrkarte zu erwerben. Auf manchen Strecken findest du während den zehn Tagen, die du Tickets im Voraus kaufen kannst, keinen einzigen Platz mehr. Auf anderen Strecken gibt es immerhin noch teure Erstklasstickets oder Stehkarten.
Generell ist die Lage auf den Strecken mit Hochgeschwindigkeitszügen besser als auf den langsameren Nebenstrecken. Und da das Schienennetz derzeit mit Hochdruck erweitert wird und dadurch auch die Kapazität der Bahn zunimmt, ist die Lage jedes Jahr ein Spürchen besser. Aber Probleme wirst du trotzdem haben.
Sollten alle Zugtickets ausverkauft sein, heisst das natürlich nicht, dass du dich nicht mehr fortbewegen kannst. Meistens findest du noch Platz in einem Flugzeug, musst allerdings mit sehr viel höheren Kosten als normal rechnen. Da die Preise je nach Auslastung zwischen den einzelnen Tagen stark schwanken können, empfehle ich zu schauen, wie viel die Flugverbindung einen Tag früher oder später kosten würde. Eine sehr gute Übersicht bietet übrigens das chinesische Reisebüro Ctrip, welches ich in der Regel verwende. Hier bezahlst du in der Regel pro Flug etwa 5 Euro mehr als beim günstigsten Konkurrenten, hast dafür aber eine erstklassige Dienstleistung und eine Buchungsmaske auf Deutsch.
Wenn du mehr Zeit als Geld hast, kannst du dein Glück auch mit den Überlandbussen versuchen. In der Regel ist es möglich, relativ kurzfristig eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern. Je nach Firma sind die Busse zwischen sehr angenehm bis ziemlich grottig. Ausserhalb der Städte hast du in der Regel keinen Stau. Allerdings werden bei starkem Nebel und bei Eisglätte manchmal die Autobahnen geschlossen. Wenn du Pech hast, sitzt du ein paar Stunden in einem Bus, der sich keinen Zentimeter rührt.
Grund 2: Vieles ist geschlossen
Während du normalerweise in China rund um die Uhr essen und einkaufen kannst, wirst du während des Frühlingsfests auf viele kleinere Läden stossen, die geschlossen sind, da die Besitzer in ihre Heimat gefahren sind. Neben den charmanten kleinen Quartierläden, sind auch viele Boutiquen und Restaurants betroffen. An den Tagen gerade vor und nach dem Jahreswechsel sind zudem auch viele Sehenswürdigkeiten nicht zugänglich.
In den Grossstädten wirst du weniger davon merken. Die Convenient-Stores sind auch in dieser Jahreszeit rund um die Uhr offen und in den grossen Shopping Malls sind mir bisher nur ganz wenige Läden unkeine ausländischen Gästed Restaurants aufgefallen, die geschlossen bleiben. In den Dörfern kann es aber schon vorkommen, dass du dich zwei Tage lang von Keksen ernähren musst.
Grund 3: Du kannst kaum mit Chinesen abmachen
Das chinesische Neujahr ist ein Familienfest mit strikten Regeln, die vorschreiben, an welchem Tag welche Familienmitglieder besucht werden sollen. Auch wenn ich mehrmals von chinesischen Freunden eingeladen worden bin, das Frühlingsfest im Familienkreis zu verbringen, kam dann doch im letzten Augenblick immer eine Absage, sobald der Besuch etwas konkreter wurde. Das Problem: Meistens wollten die Eltern während dieser Zeit keine ausländischen Gäste. Für mich vollkommen verständlich.
Da die meisten Chinesen zum Frühlingsfest nicht an ihren Wohnorten sind, hat es sich auch immer als schwer herausgestellt, mit jemandem abzumachen. Wenn dir also wichtig ist, unterwegs mit Einheimischen in Kontakt zu kommen oder du planst, China per Couchsurfing zu bereisen, dürfte es in diesen Tagen etwas schwer werden. Generell empfehle ich übrigens zum Knüpfen von Kontakten die geniale Chatsoftware Wechat, deren Funktionsweise ich hier genauer beschrieben habe.
Grund 4: Vergiss das mit dem Schlafen
Feuerwerk gehört zum chinesischen Neujahr wie der Reis zu einer guten Mahlzeit. Doch anders als bei uns beschränkt sich das Feuerwerk nicht auf den Silvesterabend. Die Böllerei dehnt sich über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen, in denen rund um die Uhr Knallfrösche und anderes lärmendes Feuerwerk abgelassen wird. Und nein: Auch nachts um vier knallt es noch gewaltig.
Die Feuerwerksraketen werden mitten auf der Strasse gestartet, oft auch auf den Innenhöfen von Wohnsiedlungen. Dass es hin und wieder gefährliche Querschläger gibt, muss ich wohl nicht eigens erwähnen. Sinnvoll ist es auch, während der Zeit darauf zu achten, dass die Fenster geschlossen sind. Vor ein paar Jahren drang ein Feuerwerkskörper in den Neubau des CCTV-Komplex ein und verursachte einen der grössten Brände in Peking seit vielen Jahren. Verletzt wurde dabei meines Wissens glücklicherweise niemand.
Wenn du früh am Morgen durch die Strassen spazierst, wirst du über den vielen herumliegenden Abfall erstaunt sein und dich wie in einem Kriegsgebiet fühlen. Der Vorteil dieser apokalyptischen Stimmung: Du kannst ein paar tolle Fotos schiessen. Glücklicherweise arbeitet die Stadtreinigung sehr effizient.
Grund 5: Die Luftqualität ist besonders schlecht
China ist in weiten Teilen des Landes generell alles andere als ein Luftkurort (hier: meine Erfahrungen mit dem Smog in Peking), doch generell sind die Wintermonate besonders schlimm. In der kalten Jahreszeit bildet sich insbesondere in den nordchinesischen Städten oft eine Inversionslage, die verhindert, dass die dreckige Luft weggeblasen wird. Hinzukommt, dass selbst in Peking noch immer viele Menschen mit Kohle heizen.
Dass das oben erwähnte Feuerwerk die bereits angespannte Umweltsituation weiter belastet, ist kaum überraschend. Seit einigen Jahren wird daher immer wieder über Feuerwerksverbote oder zumindest über Teilverbote während besonders schlechten Tagen diskutiert. Soweit ich das mitbekommen habe, ist es allerdings bisher bei den Diskussionen geblieben.
Grund 6: Es ist kalt. Überall.
Für mich persönlich einer der wichtigsten Punkte, für Leute mit einer höheren Kälteresistenz vielleicht eher marginal. China ist im Winter kalt, verdammt kalt. Dabei ist das Problem nicht einmal unbedingt das Wetter, sondern vielmehr der Mangel an Isolation und Heizung.
Im Süden von China hast du zwar milde Winter mit etwa 10 Grad. Allerdings haben die Wohnhäuser, die meisten Restaurants und die günstigen Unterkünfte südlich des Jangtses in der Regel keine Heizung. Mit etwas Glück kannst du die Raumtemperatur mit der Klimaanlage etwas erhöhen. Doch weiter im Süden findest du viele Klimaanlagen, die nicht heizen können. In teuren Hotels wirst du höchstwahrscheinlich nicht frieren müssen
Wenn du unbedingt im Winter nach China willst, dann empfehle ich einen Blick auf meine kurze Zusammenstellung von fünf „Fluchtpunkten“, also Zielen, die entweder nicht so kalt sind oder bei denen sich das Frieren wenigstens lohnt.
Bist du neu hier? Dann schau dir hier an, was Sinograph bezweckt? Wenn du auf der Suche nach Reiseinspiration bist, dann schau dich hier in der Rubrik Reiseziele um. Und vergiss nicht, Facebookfan von Sinograph zu werden. Praktische Reisetipps findest du im Chinareiseforum.
// Hinweis zu den Bildrechten: Bild vom Zug und vom Feuerwerk. Vielen Dank, dass ich das Foto hier nutzen darf. //
Gute Punkte, die ich nur bestätigen kann (bis auf Punkt 3, darin habe ich keine Erfahrung. Ich gehöre ja zur Familie ;-))
Dieses Jahr wollten wir eigentlich zu der Zeit mal das Land verlassen, aber haben das schnell wieder verworfen. Also doch wieder frieren in diversen Wohnungen …
Hallo Shaoshi,
ich kann mir vorstellen, dass es bei Euch in Shanghai im Winter wegen der hohen Luftfeuchtigkeit besonders eklig ist. Ich war nur einmal im Winter für ein Wochenende in Shanghai und schon nach einem Tag erkältet… 🙁
Gruss,
Oli
Wir waren dieses Jahr zu Tet in Saigon, die vietnamesische Variante vom Frühlingsfest.
Das war ein einwöchiges Trauerspiel, die Stadt war schlicht und einfach tot und verlassen. Wir konnten sogar die Strasse überqueren 😉
Eigentlich haben wir uns vorher auf Tet gefreut, aber nach der Woche waren wir überglücklich als alle endlich wieder zurückkamen.
Frühlingsfest: Keine gute Zeit für Reisende
Hallo Florian,
dass das in Vietnam auch so ist, wusste ich nicht. Ich dachte immer, dass das Land dann von all den chinesischen Touristen überrollt wird, die keinen Bock haben, im eigenen Land zu reisen.
Gruss,
Oli
[…] Wieso du während des Frühlingsfests besser nicht nach China reist (Sinograph): In diesen Tagen feiern im Reich der Mitte über eine Milliarde Menschen den Beginn des Jahrs des Schafs. Zwei Wochen lang wird rund um die Uhr Feuerwerk gestartet und die vielen reisenden Menschen überlasten die Züge. In diesem Artikel schreibe ich, wieso du diese Zeit besser meidest. […]
Hehe, ja das kenne ich auch. Wir wollten reisen und sind 18 Tage davor ins chinesische Reisebüro gegangen um uns ein Ticket zu reservieren. (18 Tage vor Abfahrt sind in China der früheste Zeitpunkt an dem man ein Zugticket kaufen kann). Ja und da war schon alles ausverkauft, da es online bis zu 21 Tage davor möglich ist.
Da haste als Ausländer echt schlechte Karten..
Wir sind in unserer Stadt geblieben und haben dort selbst geballert. Sind ja auch verdammt günstig diese Böller.
Dass Familien ständig ihre Ruhe haben wollen kann ich nicht ganz bestätigen. Ein Kumpel von mir war bei einer Familie Couchsurfen und Gina wurde mit ihrer Freundin auch eingeladen. Sie fand das mega cool, weil sie dort überall mit „hingeschleppt“ wurde und allen Familienmitgliedern vorgestellt wurde.
Na die Nordler sind halt ein bisschen verbohrter – HAHA.
Kilian
Mentalitätsunterschiede kanns schon geben. Ich rede ja auch nur von Tendenzen. So wie bei uns mit Weihnachten. Da kann man schon auch eingeladen werden, aber trendenziell ist das dann doch eher ein Familienfest.
Züge kann man übrigens neu länger im voraus reservieren. Finde ich eine gute Sache.
Haha, so ist das, mit einem lachenden und einem weinenden Auge muss ich dem zustimmen! Als Ausländer in DE Weihnachten zu verbringen ist ziemlich ätzend. Alle sind rausgeflogen, bei ihren Familien, und alle wollen unter sich sein. Hast du keine Familie, kommst du dir echt deplatziert vor, wenn nicht total verloren.
Und als Chinesin verzichte ich auch schon seit Jahrzehnten darauf, das wichtigste Fest mit meinen Leuten dort zu verbringen. Keiner hat Zeit, um etwas außerhalb der Pflichtprogramme zu unternehmen, überall herrschen Hektik und Gedrängel, in den Restaurants keine Tische frei und die Preise sind auch noch um mind. 20% höher, das ist ganz normal.
Oh ja, die Kälte…! Wenn draußen 12 Grad herrscht und drinnen 13, dann ist es echt nicht auszuhalten…
Bei aller Liebe – es macht weder Spaß noch wirklich Freude, sich um diese Zeit in China aufzuhalten…
Hallo Li,
ich finde den Vergleich mit Weihnachten in Deutschland recht passend. Da ich selber natürlich in der Heimat (Schweiz) kein Ausländer bin und Familie habe, ist für mich zu hause die Situation anders. Aber ich würde auch meinen chinesischen Freunden raten, zur Weihnachtszeit lieber in eine andere Region zu verreisen.
Gruss, Oli
Hallo Oliver,
ich geniesse seit 2004 das chinesische Neujahrsfest im Kreise meiner Familie in Nanjing.
Dieses Jahr war ich etwas enttäuscht. Die diversen Ankündigungen, die Du erwähnt hast, sind dieses Jahr tatsächlich umgesetzt worden. Feuerwerksverbot in Bejing, Shanghai, Nanjing und Hongkong. Alle, bzw. viele Geschäfte geschlossen und mehr oder weniger Totenstille. Wo sonst alle 50 Meter Nachschub an Feuerwerkskörpern aller Grösse zu kaufen waren…nichts. Das zünden und der Handel mit Feuerwerkskörpern war verboten und wurde rigeros umgesetzt. Nicht einen kleinen Kracher habe ich gesehen oder gehört. In den anderen Städten und auf dem Land war es übrigens erlaubt.
Ein sehr interessanter Post. Ich war leider oder nach deinem Post wahrscheinlich eher Gott sei Dank noch nicht während dieser Zeit in China. Dann suche ich mir lieber einen anderen Reisezeitraum 🙂