Am Rande der Tibetischen Hochebene liegt der Qinghai-See. Diesen wollte ich umrunden und suchte deswegen in der Jugendherberge ein paar Mitreisende, um die Kosten für einen Mietwagen mit Fahrer zu teilen. Gelandet bin ich im militärischen Sperrgebiet.
Ich war in die Falle getappt. Und zwar in dem Augenblick, als ich während meiner Reise auf der Tibet-Tangente in der Jugendherberge Xining eine Anzeige entdeckte. „Wir suchen zwei Reisepartner, die mit uns den Qinghai-See umrunden“, stand zweisprachig auf einem Fresszettel am Schwarzen Brett.
Darunter waren ein paar Ortsnamen auf Chinesisch angeben. Das meiste kannte ich nicht und einige Namen konnte ich nicht entziffern. Aber die Ziele, dir mir am Wichtigsten waren, standen drauf. Also entschloss ich mich, die angegebene Nummer anzurufen.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich hätte nachfragen sollen, was es an den Orten zu sehen gibt, die ich nicht kannte. Dann wäre ich bestimmt hellhörig geworden. Einer der Punkte war nämlich das Haus, in dem chinesische Wissenschaftler in den 1960er-Jahren die erste Atombombe entwickelten.
Dann hätte ich wahrscheinlich festgestellt, dass der Jiuquan Atomenergie-Komplex noch immer in Betrieb ist und vermutlich hätte ich nachgefragt, ob Ausländer wirklich das Haus besuchen dürfen. Stattdessen trafen wir uns einfach am Hosteltisch, einigten uns über den Preis und den Zeitpunkt der Abfahrt.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mich in Xining sicher fühlte. Die auf 2200 Metern über Meeresspiel gelegene Millionenstadt ist das Verwaltungszentrum der Provinz Qinghai. Sie wird von Travellern immer wieder als das „bessere Tibet“ bezeichnet, da die zum grössten Teil von Tibetern bewohnte Region anders als die Autonome Region Tibet keine besonderen Reisepermits benötigt.
Abfahrt um den Qinghai-See
Am nächsten Morgen steige ich in unser Auto ein. Der Fahrer ist ein junger Hui, also ein chinesischer Muslim, mit dem Namen Xiao Ma. Kleines Pferd heisst das. Das sei zwar nicht sein richtiger Name, verrät er etwas später: Aber für Chinesen sei es leichter, sich das zu merken. Dann will er wissen, ob er für mich einen englischen Namen wählen soll.
Mit im Auto ist Kelsey, eine IBM-Managerin aus Qinhuangdao. Daneben sitzt eine junge Studentin aus Peking, die sich den etwas aussergewöhnlichen Namen „Windy“ gegeben und unsere Route zusammengestellt hat. Ausserdem ist noch der Mittelschullehrer Laojie aus Nanjing im Fahrzeug.
Der erste Stopp auf unserer Route sind die Qilian-Berge. Was weder ich, die alles planende Windy noch der Fahrer wussten: Dieser Bezirk an der Grenze zur Provinz Gansu ist militärisches Sperrgebiet – zumindest für Ausländer.
Chinesen hingegen dürfen sie Region nicht nur bereisen, sondern sie scheint im Rahmen des „roten Tourismus“ sogar beworben zu werden. Ein wissenschaftliches Institut, in denen Forscher die erste chinesische Atombombe entwickelt haben, ist auf den Patriotentouren offenbar ein Pflichtstopp.
Bombenstopp
Wir fahren in unserem weissen VW Jetta wunderschön blühenden Rapsfeldern entlang. Hin und wieder halten wir an, weil Xiao Ma sich eine Zigarette anzünden oder Windy ein Selfie im gelben Blumenmeer schiessen will.
Am Nachmittag stoppen wir in der Einfahrt zu einem etwas altertümlich wirkenden und wenig eindrücklichen Haus. Windy und Kelsey wollen zum Gebäude, um es aus der Nähe zu fotografieren. Laojie hingegen zeigt auf die Uhr: Wir dürfen hier nicht zu viel Zeit verlieren, sagt er. Schliesslich hätten wir noch weitere Punkte auf der Tagesordnung.
Also entschliessen sich die drei, einfach ein paar Fotos aus dem Fenster des Autos zu schiessen. Ich selber fotografiere nicht. Alte Backsteinhäuser habe ich in China schon häufig gesehen. Auch gelang es meinen Reisebegleitern nicht, mir zu erklären, wieso dieses Gebäude etwas Besonderes sein soll. Immer fehlten wichtige Worte.
Etwas später konnte ich Anhand der Route und den Gesprächsfetzen eruieren, was wir besucht hatten. Es war das Forschungsinstitut, das zur geheimen Fabrik 404 gehörte. Hier hatten die Wissenschaftler an der ersten chinesischen Atombombe geforscht. Also ein chinesisches Area 51.
In der Falle
Dass ich in einem Sperrgebiet gelandet bin, merke ich erst am späten Abend, als wir in Jiuquan in ein Hotel einchecken wollen. Überall heisst es, dass man keine Ausländer aufnehmen dürfe. Nur eine teuer aussehende Unterkunft neben dem Polizeiposten könnte eventuell helfen, wird uns beschieden.
Nach einigen weiteren Fehlversuchen, entschliessen wir uns, es mit dem angegebenen Hotel zu versuchen. Die Hotelsuche in abgelegenen Orten ist in China häufiger ein Problem. Kaum stehe ich an der Rezeption, sehe ich zwei Polizistinnen neben mir. Sie schauen mich freundlich an und bitten mich um den Ausweis.
Nachdem sie meinen Pass kurz überflogen haben, fordern sie ein weiteres Dokument. Ein Permit für die Stadt. Das habe ich natürlich nicht. Also entschliesse ich mich, ab sofort kein Wort Chinesisch mehr zu verstehen.
In der Hand halten sie das chinesische Ausländergesetz. Die drei Paragraphen, gegen die ich offenbar verstossen habe, sind bereits mit einem blauen Kugelscheiber unterstrichen. Meine Mitreisenden beginnen nun für mich mit der Polizei zu verhandeln.
Das Ergebnis nach einer rund zwanzigminütigen Diskussion: Ich darf die Nacht im Ort bleiben. Aber: „Wenn er morgen früh um acht Uhr noch da ist, muss er 500 Yuan (50 Euro) Strafe zahlen“, sagt die Polizistin nach einer Weile. Ich bin beruhigt. Eine solche Aktion hätte anderswo in die Hose gehen können.
Die Erkenntnis
Weshalb ich das alles schreibe? Im Internet wird vor allem im Hinblick auf Tibet viel darüber spekuliert, was alles im „Unrechtstaat China“ passieren kann, wenn man ausversehen an den falschen Ort gelangt.
Ich möchte mit diesem Artikel niemanden ermutigen, in verbotene Zonen einzudringen. Die Regeln und Reaktionen werden sich wohl andauernd ändern. Und wahrscheinlich besteht auch ein Unterschied, ob man Kontrollen umgeht oder es überhaupt keine gibt.
Aber das Beispiel zeigt meiner Meinung sehr gut, dass die Realität doch viel weniger schlimm ist, als man sich das vielleicht ausmalt und dass man sich vor China als Reiseland nicht zu fürchten braucht.
Damit euch nicht das Gleiche wie mir widerfährt, werde ich hier in ein paar Wochen noch praktische Tipps und Hinweise zur Routenplanung rund um den Qinghai-See geben.
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Wow, ich hätte mir bestimmt ins Hemd gemacht, auch wenn die Drohung von wegen 50 Euro jetzt wirklich noch harmlos ist. Noch mal Glück gehabt …
Und „Windy“ findest du als Namen schon außergewöhnlich? 😉
Mein Chinesisch ist ja zum Glück nicht so gut. Als ich kappiert habe, worums geht, war eigentlich bereits klar, dass die beiden Polizisten eher verständnisvoll waren.
Ja, Windy find ich schon etwas seltsam, auch wenn der Name sicherlich nicht die Krönung der Seltsamheit war.
Hallo Oli,
das wusste ich jetzt nicht, dass einzelne Gebiete für Ausländer gesperrt sind. Gut zu wissen, falls ich einmal in der Provinz unterwegs bin.
Lg Thomas
Hallo Thomas,
es gibt eine ganze Reihe von Sperrgebieten in China. Allerdings stellen die für normal Reisende meist kein Problem dar. Wer mit Bahn oder Bus unterwegs ist, bekommt das Ticket ohnehin nicht und Touristen dürfen normalerweise nicht selber Auto fahren.
Ein weiteres bekanntes Sperrgebiet ist übrigens der Shennongjia-Nationalpark in Hubei. Da ist nur ein kleiner Teil für Ausländer zugänglich. Chinesen dürfen tiefer rein. Wieso Ausländer nicht erwünscht sind, weiss ich nicht.
Die Regionen südlich von Fenghuang in Hunan waren auch lange für Ausländer gesperrt, heute aber nach meinem Kenntnisstand wieder zugänglich. Ebenfalls waren nach den tibetischen Aufständen von 2008 einige tibetische Siedlungen in der Provinz Sichuan ein No-Go. Und Tibet natürlich sowieso.
Gruss,
Oli
Hallo Oliver,
wow, nochmal Glück gehabt. Ich verstehe, was du sagen willst. Keine Angst vor China als Reiseland. Trotzdem fällt es mir schwer, mir das vorzustellen, dass man dich da einfach hat bleiben lassen. Man lernt nie aus 🙂
Viele Grüße
Christina
Genau. In China läuft vieles schief. Aber als Tourist braucht man vor China keine Angst zu haben.
Mit einem Mietwagen in China zu reisen ist sehr wohl möglich. Wir haben es gemacht und rund 30000km zurück gelegt. Es ist dazu nur eine temporäre chinesische Driver License nötig, die für 5 USD bei der Traffic Police zu bekommen ist. Mit dem temporären Führerschein bekommt man Mietwagen. Wir sind durch die meisten Provinzen in China gefahren, bis Kashgar in Xinjiang. Mit GPS findet man jeden Ort. Die Autobahngebühren sind allerdings recht teuer. Die chinesischen Fahrerqualitäten sind anders als gewohnt und die Strassenregeln werden wenig beachtet. Wir haben noch in keinem Land soviele Verkehrsunfälle gesehen wie in China, vor allem wenn es Schnee auf den Strassen hatte. Langsamer fahren geht da gar nicht und schon gar nicht wenn Nebel herrscht. Unglaublich aber wahr, dann wird in China die Autobahn einfach gesperrt mit der Begründung wegen schlechten Wetters!!! Ha…ha… schlechtes Wetter (das gleiche) ist auch auf der Landstrasse. Der Grund ist einfach, weil nicht mit angepasster Geschwindigkeit gefahren wird. Die LKW-Fahrer sind noch eine Spur besser als in Vietnam. Wenn man Autofahren kann und sich nicht von den chinesischen Rasern/LKW-Fahrern, die jegliche Strassenregeln missachten bedrängen lässt, hat wunderbare Freiheit China zu bereisen. Störend natürlich die Situation, dass in den meisten Hotels in China Touristen nicht erwünscht sind. Wir haben oft im Auto übernachtet. Wir wollten damit keinesfalls Geld sparen, hätten lieber ein nettes Hotelzimmer gehabt. Davon gibts genügend, aber nur für die Chinesen. Wir sind möglicherweise auch durch kritische Gebiete gefahren (z.B. Qinghai-See, Xining, Golmud, Xinjiang, etc.), aber bitte wo ist das Schild? In englischer Sprache? Damit es die Touristen auch lesen können?
Hallo Erich,
vielen Dank für den Kommentar. Vom temporären Führerschein habe ich auch schon gehört. Nach meinen Recherchen gilt dieser aber nur nur im Grossraum Beijing. Aber in China habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass keiner so genau die Regeln kennt und jeder etwas anderes sagt.
Kannst du mir sagen, wo du den Führerschein genau beantragt hast? Also welches Amt und welche Stadt? Und vielleicht auch, wann deine Reise stattfand?
Das mit der geschlossenen Autobahn habe ich auch schon erlebt. Bei mir war es aber so, dass ich bereits im Bus auf der Autobahn war, als sie geschlossen wurde. So standen wir dann etwa sechs Stunden vor einem geschlossenen Tollgate irgendwo im Nirgendwo.
Dass man die Einfahrt schliesst, kann ich ja noch halbwegs nachvollziehen. Aber dass man den ganzen Verkehr auf der Autobahn einsperrt, das fand ich dann doch etwas aussergewöhnlich…
Liebe Grüsse,
Oliver
Hallo Oliver
Den temporären Führerschein hab ich direkt am Airport in Beijing beantragt. Hier ist eine gute Anleitung: http://motorhome-china.com/report_dl.html
Mit diesem Führerschein kann man wirklich in ganz China fahren. Auch in Xinjiang – dort wird einfach sehr viel an den Check-Points kontrolliert. Vor allem wenn man dann Richtung Grenzen (Pakistan, Kirgistan, Russland, Mongolei) fährt. Meist muss man aussteigen, alle Papiere (Pass mit Visum, Driver License, Mietwagenpapiere mit Versicherung) vorlegen. Das wird dann in ein Buch eingetragen. Wir hatten aber nicht an einem einzigen Ort ein Problem. Geht wirklich gut. Aber sonst in China wird der Führerschein nirgends kontrolliert. Aber der ist auf keinen Fall nur für eine Region oder Provinz beschränkt. Damit kann in ganz China gefahren werden. Es würde wohl gar in Tibet (TAR) gehen, mit allen Bewilligungspapieren und dort muss dann wohl ein Guide (=Aufpasser) mit! Wir waren auch einmal in Tibet, aber da mussten wir einen Guide und einen Driver mitnehmen. Echt mühsam! Schade, kann man nicht frei reisen uns sich Zeit nehmen, Photos zu machen. Der Guide wusste zwar Infos zu den Klosteranlagen, aber sonst…. von der Bergwelt wusste er nicht so viel und manche Sehenswürdigkeit hat er verpasst, hätten wir nicht Infos gehabt, wo sie zu sehen sind. Nun ja – Tibet ist natürlich wunderschön, aber so manche Gegebenheiten sind zur übermässigen Kontrolle und vor allem auch ein Business Modell, das Geld einbringen soll. Schöne Grüsse Erich
Hallo Erich,
vielen Dank für den Link, der sicherlich vielen Lesern hier hilft.
Tibet klingt schon sehr interessant, aber mit Aufpasser reisen, das ist nichts für mich… 🙁
Liebe Grüsse,
Oli
Vielen Dank für den interessanten Bericht. 🙂 Ich plane im November eine Reise nach Asien, entweder Taiwan oder China. Bei China schrecken mich aber noch einige Dinge ab: Luftverschmutzung, Visa Beschaffung usw. Taiwan ist da sicher viel einfacher.