Thames Town: Eine von mehreren Nachbauten europäischer Städte in China. Fotos: OZ

Thames Town: Eine von mehreren Nachbauten europäischer Städte in China. Fotos: OZ

Dass China mehrere europäische Kleinstädte kopiert hat, davon hast du sicherlich schon gelesen. Was du vielleicht nicht wusstest: Bei einem Shanghai-Besuch kannst du dir einige dieser abstrusen Siedlungen leicht anschauen. Hier mein Bericht über die „britische“ Thames Town.

Alles klingt zu bizarr, um wahr zu sein. Die Stadt Shanghai hat sich irgendwann vor über zehn Jahren entschlossen, die Vororte aufzuwerten. Daraufhin wurde ein Programm zur Stadtentwicklung mit dem Namen „One City, nine towns“ ins Leben gerufen.

So weit, so gut. Schräg wurde alles erst mit dem Gedanken, dass jede dieser neun Siedlungen einer europäischen oder besser gesagt einer westlichen Kleinstadt gleichen soll. So ist Anting in der Nähe der VW-Werke zum Beispiel der deutschen Architektur nachempfunden, während eine Siedlung am andern Ende von Shanghai wie eine schwedische Kleinstadt wirkt.

Wie so oft bei grossen Plänen, geschah auch hier das Unvermeidliche: Der Plan ging nicht auf. Die Wohnungen wurden hauptsächlich von Spekulanten gekauft. Laut Medienberichten soll in den Städten, die für etwa 10.000 Bewohner entworfen wurden, gerade einmal eine Handvoll Menschen leben. Regelrechte Geisterstädte sind da entstanden.

Die Wohnungen von Thames Town sollen grösstenteils leer stehen.

Die Wohnungen von Thames Town sollen grösstenteils leer stehen.

Ein seltener Anblick in China: Leere Strassencafés.

Ein seltener Anblick in China: Leere Strassencafés.

Der Themenpark, der keiner ist

Anfang Mai entschloss ich mich, eine dieser Geisterstädte zu besuchen: Thames Town, die englische Variante im Shanghaier Vorort Songjiang. Die Wahl war vollkommen willkürlich und Thames Town ist vermutlich genauso sehenswert wie die acht Städtegeschwister, die ich mir für kommende Shanghai-Besuche vorgenommen habe.

Kaum bin ich am Eingang zu Thames Town angekommen, entdecke ich einen Wachmann, der den Zugang zu den Wohnungen versperrt. Das ist China nichts Aussergewöhnliches, würde er nicht eine rote Uniform tragen, die stark an die Palastwache in London erinnert. Später erfahre ich, dass ich den Uniformierten etwas länger hätte beobachten sollen. Dann hätte ich vielleicht die Wachablösung sehen können.

Nach hundert Metern führt die Strasse über einen Kanal, dem ich nun folge. Auf dem Wasser ist eine Gruppe von Kajak-Fahrern unterwegs. Sie rufen sich gegenseitig Witze zu. Weiter vorne steht auf einem Platz eine alte Strassenbahn, vor der ein Paar gerade für Hochzeitsfotos posiert.

Thames Town ist eine beliebte Kulisse für Hochzeitsfotos.

Thames Town ist eine beliebte Kulisse für Hochzeitsfotos.

Eine Gruppe von Kajakfahrern hat auf den Kanälen von Thames Town ihren Spass.

Eine Gruppe von Kajakfahrern hat auf den Kanälen von Thames Town ihren Spass.

Kulisse für Hochzeitsbilder

Im Verlaufe meines Spaziergangs begegne ich immer wieder Paaren, die sich vor den britisch wirkenden Fachwerkhäusern, den roten Telefonkabinen oder der gotisch inspirierten Kirche ablichten lassen. Die Nachfrage der künftigen Ehepaare scheint sogar so gross zu sein, dass sich am Hauptplatz gleich mehrere Läden angesiedelt haben, die Brautkleider verkaufen.

Als ich an einem Laden mit einem Soft-Ice-Automaten vorbeikomme, entschliesse ich mich, ein Vanille-Eis zu bestellen. Ich bekomme etwas Rosafarbenes in die Hand gedrückt, das eher nach Erdbeere aussieht. Aber der Verkäufer beharrt darauf, dass es Vanille sei. Ob er recht hat, kann ich nicht beurteilen: das Eis hat überhaupt keinen Geschmack.

Als nächstes steht der Besuch der Kirche im Zentrum des Städtchens an. Von Andacht ist hier keine Spur: Vor mir sitzt ein chinesisches Pärchen, dass sich mit einem Selfiestick in romantischen Posen ablichtet. Etwas weiter vorne spaziert eine schlanke Chinesin im enganliegenden Sommerkleid und knallbunten Hut um den Altar. Am Eingang tauschen zwei junge Männer lautstark den neusten Klatsch aus.

Das kaum zu geniessende „Vanille“-Eis.

Selfie-Time in der Hauptkirche von Thames Town.

Selfie-Time in der Hauptkirche von Thames Town.

Überraschend angenehm

Thames Town und ähnliche Siedlungen werden in den internationalen Medien gerne belächelt.  So bizarr und deplatziert hier alles wirkt, ist der Ort auf seine Weise doch angenehm.

In den engen Gassen mit Kopfsteinpflaster gibt es gemütliche (wenn auch etwas arg leere) Strassencafés. Wenn ich vom Rumlaufen müde werde, kann ich es mir auf einer der Holzbänke bequem machen. Vor allem aber hat die Stadt eine Eigenschaft, die man sonst in China nur ganz selten findet: Ruhe.

Praktische Tipps:

So kommst du hin: Am einfachsten fährst du mit der U-Bahn bis zur Station „Songjiang New Town“ (Linie 9). Von dort aus gelangst du mit dem Taxi nach „taiwushi xiaozhen“. Die Fahrt sollte nicht mehr als 10 Minuten dauern und weniger als 20 RMB kosten. Wirf hier einen Blick auf meinen Taxi-Guide.

Eintritt: Auch wenn es teilweise anders wirkt: Thames Town ist ein Teil eines Shanghaier Vororts und kein Vergnügungspark. Daher ist auch kein Eintrittspreis nötig. Allerdings sind Restaurants und Cafés für einen Vorort etwas teuer.

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