Sebastian Kühn (31) lebt seit rund dreieinhalb Jahren in Shanghai, von wo aus der Berliner als digitaler Nomade mehrere Webseiten schreibt und betreut. Seine beiden Leidenschaftsprojekte sind derzeit der Blog wirelesslife.de sowie mywirelesslife.de, eine Community von Webworkern, Reisenden und Online-Unternehmern.
Sebastian, du bezeichnest dich als digitalen Nomaden. Was ist das genau?
Ein digitaler Nomade ist jemand, der sich weder durch seine Arbeit noch durch Besitz an einen festen Ort bindet. In der Praxis heißt das, dass ich mein Einkommen ausschließlich online verdiene und das von überall in der Welt von meinem Laptop aus machen kann. Was dann jeder mit seiner Ortsunabhängigkeit und den flexiblen Arbeitszeiten macht, ist ganz unterschiedlich. Viele digitalen Nomaden, so auch ich, habe eine feste Homebase und reisen in den Wintermonaten in wärmere Gefilde.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Mir ist ein zumindest teilweise geregelter Alltag wichtig, da ich sonst wenig produktiv bin. Auch wenn ich von verschiedenen Orten aus arbeite, versuche ich gewisse Routinen einzuhalten. Dazu gehört zeitiges Aufstehen und Abarbeiten der Must-Do’s für meine Übersetzungsagentur, meinen Blog und die Community My Wireless Life. Am Nachmittag gehe ich meist in Co-Working Spaces oder Cafes und arbeite eher kreativ (Schreiben, Konzeptionierung, Webdesign). Wen es interessiert, ich habe in einem Gastartikel mal ausführlich über mein „Leben eines digitalen Nomaden in Shanghai“ berichtet.
Wieso bist du ausgerechnet nach China ausgewandert?
China war für mich immer eine große Unbekannte. Einfach so anders als viele westliche und auch asiatische Kulturen. Nach einem Trip durch Südostasien in 2009 stand für mich fest, dass ich gerne mal für ein paar Monate in diesem Land, das so fremdartig erscheint, leben möchte. An Auswanderung habe ich jedoch nie gedacht. Wir (meine Freundin und ich) wollten ursprünglich nur für ein halbes Jahr herkommen, haben die Zeit dann doch immer wieder verlängert. Im nächsten Jahr wollen wir aber weg aus Shanghai und noch ein weiteres asiatisches Land besser kennenlernen.
Was sind die Vorteile von China für freischaffende Webworker wie dich?
Generell würde ich ortsunabhängigen Webworkern China nicht als erste Wahl empfehlen. Da gibt es sicher günstigere und klimatisch attraktivere Orte in der Welt. Als Vorteile sehe ich die gute Infrastruktur in den Großstädten, massenweise Cafes und Co-Working Spaces. Die internationale Community ist besonders in Shanghai sehr groß, wenn auch die meisten als Expats in Festanstellungen arbeiten. Für all diejenigen, die im Bereich eCommerce & Sourcing unterwegs sind, ist Shanghai als Basis natürlich ideal.
Und worin bestehen die Nachteile?
Mir fehlt in Shanghai die Nähe zur Natur und einem guten Strand. Das Klima ist sicher deutlich besser als in Deutschland aber der kurze Winter kann aufgrund des fehlenden Heizungssystems in den Wohnungen recht unangenehm werden. Den größten Nachteil sehe ich allerdings in der fehlenden Community von anderen digitalen Nomaden, mit denen man sich regelmäßig vor Ort austauschen kann. Diese Nachteile muss jeder für sich selbst mit der recht guten Lebensqualität und den spannenden Entwicklungen (mit vielen Geschäftsmöglichkeiten) in China, und vor allem in der 20-Millionen-Metropole Shanghai, abwägen.
Du sagst, dir sei der Austausch mit anderen Nomaden wichtig. Wie erlebst du die Szene in China? Lernt man sich in Co-Working-Spaces kennen?
Es gibt genügend Coworking Spaces, die sich auch ständig vermehren. Auch lokale Meetups, Vorträge oder Masterminds gibt es zur Genüge. Allzu oft liegt dabei der Fokus eher auf Networking zwischen Unternehmen. Ich kann mich hier vor Ort nur mit wenigen Freunden zu Themen rund um das digitale Nomadentum austauschen. Das war auch eine der Motivationen zur Gründung der Plattform My Wireless Life, über die wir Mitglieder regelmäßigen Austausch haben.
Könntest du dir vorstellen, auch in einer anderen chinesischen Stadt zu leben? Wenn ja: wo?
Nein. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich andere chinesische Städte eher als Tourist gesehen habe. Deshalb kann ich mir kein echtes Urteil erlauben, würde aber innerhalb von China nicht umziehen.
Und nun die Frage an den Leser: Wäre Shanghai für dich ein Ort zum Leben?
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