Blick auf einen Park in der Nähe von Luohu. Fotos: OZ

Shenzhen hat bei Touristen einen schweren Stand. Viele glauben, die an Hongkong angrenzende Wirtschaftsmetropole sei langweilig und habe keine Sehenswürdigkeiten. Doch das ist ein Vorurteil. Tatsächlich ist sie eine der aussergewöhnlichsten Städte Chinas.

Shenzhen ist ein seltsames Gebilde voller Widersprüche: Einerseits gibt es keine andere Stadt in China, die der lebendigen Metropole gegenüber Hongkong gleicht, andererseits ist Shenzhen die vermutlich authentischste und „chinesischste“ Stadt des ganzen Landes.

Chinesen mögen Shenzhen. Weil die Stadt schön ist und eine gute Lebensqualität bietet. Ausländische Touristen hingegen machen einen Bogen um die Stadt. Es gibt keine alten Paläste und Tempel, keine kulturellen Aushängeschilder, sondern nur eine moderne, gut funktionierende Stadt.

Shenzhen ist ein entspannter und geschäftiger Ort; gleichzeitig aber auch einer, für den man ohne Anleitung nicht warm wird. Auch ich hätte mich nie für die Stadt interessiert, wenn nicht so viele meiner chinesischen Bekannten in den letzten zehn Jahren dorthin gezogen wären, und mir die Stadt durch ihre Augen gezeigt hätten.

Und so soll dann dieser Artikel auch so etwas sein wie eine Brille, die dir dabei hilft, Shenzhen so zu sehen wie ich. Er soll dir zeigen, was Shenzhen so besonders macht.

 

Die erste Sonderwirtschaftszone in China

Um das Wesen von Shenzhen zu verstehen, braucht es einen Rückgriff auf die sehr junge Geschichte der Stadt. Denn dort, wo heute die mitunter höchsten Wolkenkratzer des Landes stehen und über 20 Millionen Menschen leben, gab es vor 40 Jahren lediglich Palmen und ein paar einsame Fischerhütten.

Den Grundstein für Shenzhen legte der damalige chinesische Staatschef Deng Xiaoping, als er vor 40 Jahren die ersten wirtschaftlichen Reformen einleitete. In einem schmalen Landstreifen gegenüber von Hongkong entstand die erste Sonderwirtschaftsszone, in der all das wieder möglich wurde, was dem Rest des Landes seit der Machtergreifung durch Mao verwehrt worden war: Weitgehend freies Unternehmertum, die Möglichkeit von ausländischen Direktinvestitionen und vieles mehr.

Shenzhen wurde innerhalb von wenigen Jahren zur Werkbank der Welt. In der Sonderwirtschaftszone wird heute der Grossteil der weltweiten Mobiltelefone zusammengeschraubt. Aber auch vieles andere wird hergestellt. Inzwischen in der Hafen von Shenzhen grösser als der vom benachbarten Hongkong.

Bis vor wenigen Jahren war die Sonderwirtschaftszone vom restlichen Festlandchina mit solchen Checkpoints abgetrennt. Die meisten dieser Checkpoints existieren heute nicht mehr.

 

Kosmopolitisch im Kleinen

Der Boom und das damit verbundene rasche Wachstum der Stadt bringen mit sich, dass es in Shenzhen kaum Einheimische gibt. Wer heute in der Stadt lebt, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit erst im Erwachsenenalter aus einer anderen Provinz hergezogen.

Shenzhen ist deswegen auch eine Stadt, in der man wenig Kinder und kaum Alte sieht. Es ist eine Stadt, die von berufstätigen Singles bewohnt wird. Und es ist eine Stadt, in der mehr Frauen als Männer leben – obwohl sonst in China wegen gezielten Abtreibungen von Mädchen fast überall ein Männerüberschuss herrscht.

Für Reisende wirkt sich das am deutlichsten in der Gastroszene aus: In jeder Ecke gibt es lokale Spezialitäten, die man andernorts nur sehr schwer findet. Wer sich einen ersten Überblick verschaffen will, findet in den erstaunlich engen Gassen rund um die Laojie jede Menge Gaumenfreuden.

Man spürt jedoch auch sonst schnell, dass man sich in einer Stadt von Entwurzelten befindet. Ausländer werden in China überall warm aufgenommen, aber in Shenzhen sind die Leute noch eine Spur aufgeschlossener.

Leckeres Essen in einer Foodstreet bei Laojie.

 

 

Die ungewöhnlichen Sehenswürdigkeiten

Die ungewöhnliche Geschichte der Stadt lässt sich auch aus ihren Sehenswürdigkeiten ablesen. Während die meisten chinesischen Städte mit wichtigen Tempeln und einer mehr oder weniger authentischen Altstadt aufwarten, sieht das in Shenzhen ganz anders aus.

Dass es in einer Mega-City, die vor einer Generation noch ein kleines Dorf war, so gut wie keine historischen Sehenwürdigkeiten gibt, ist zu erwarten. Dafür hat die Stadt jede Menge beeindruckende moderne Architektur wie zum Beispiel die geschwungene Stadtverwaltung.

Fast schon ironisch ist, dass sich ausgerechnet der Wirtschaftszweig zu einem Besuchermagnet entwickelt hat, der für viele ein Sinnbild Chinas ist: Die Fälschung von westlichen Produkten. In Dafen gibt es einen ganzen Stadtteil, in dem nichts anderes hergestellt wird als Kopien von klassischen Ölgemälden.

Wer mag, kann durch die Fälscherwerkstatt spazieren und in den engen Seitengassen von Dafen den Malern bei ihrer Arbeit zusehen. Die Qualität ist generell hoch und die Preise niedrig, so dass Dafen kein schlechter Ort ist, um sich mit Gemälden einzudecken.

Nicht weniger bekannt sind die zahlreichen Themenparks: Da steht beispielsweise in der Dapeng-Bucht der alte sowjetische Flugzeugträger Minsk, der in einen militärischen Themenpark verwandelt wurde. Bei einem Besuch sollte man sich jedoch auf eine gewaltige Propaganda-Show gefasst machen.

Wer ganz China an einem einzigen Tag erleben will, kann dies in Splendid China tun. Der beeindruckende Park beinhaltet nicht nur Modelle der wichtigsten Sehenswürdigkeiten des ganzen Lands in kleinem Massstab, sondern bietet auch Nachbauten von Wohnhäuser der ethnischen Minderheiten an.

Dafen: In einem ganzen Stadtteil nichts als Ölgemälde…

 

Ist Shenzhen nun langweilig?

Ich wurde einmal von einem Leser gefragt, welche Stadt ich empfehlen würde, wenn er das authentische China erleben will. Meine Antwort hat ihn wohl überrascht. Aber ich finde tatsächlich: Shenzhen bildet die Lebenswirklichkeit des modernen Chinas ab, wie keine zweite Stadt.

Es mag sein, dass Shenzhen eine Retortenstadt ohne Geschichte ist. Aber damit ist sie genau ein Sinnbild für die vielen anderen Retortenstädte, die später im ganzen Land entstanden sind oder noch geplant werden.

Ordos, die Wüstenstadt in der Inneren Mongolei, und Xiongan, die sich derzeit im Bau befindende Metropole bei Peking, sind nach Shenzhen die bekanntesten. Doch keine davon hat für Touristen so viel zu bieten wie Shenzen.

Einer der spannendsten Themenparks im ganzen Land: Splendid China

 

Praktische Tipps

Anreise: Shenzhen verfügt über einen Flughafen mit einer sehr guten Anbindung an den Rest von China. Ausserdem starten in der Stadt zahlreiche (Hochgeschwindigkeits)züge ins ganze Land. Siehe hier meine Tipps zum Buchen von Zügen in China. Shenzhen ist entlang der Grenze zu Hongkong gebaut, welches sich sehr bequem per Ubahn erreichen lässt.

Sonderregeln für Visa: Beachte bevor der Beantragung deines chinesischen Visums, dass es für Shenzhen drei Optionen gibt: Am flexibelsten bist du mit dem gewöhnlichen chinesischen Visum, dass dir den Besuch des ganzen Lands erlaubt. Wenn du von Hongkong aus kommst und lediglich Shenzhen besuchen möchtest, kannst du an der Grenze ein Visa on Arrival beantragen. Ebenfalls möglich ist ein visafreier Transitaufenthalt von bis zu 144 Stunden. Lies hier mehr zu den Visa-Regeln für China.

Reisezeit: Shenzhen ist am besten im Frühling und im Herbst zu besuchen. Auch wenn die Winter nicht besonders kalt sind, so ist doch der Mangel an Heizungen unangenehm. Der Sommer hingegen leidet regelmässig unter Taifunen, die teilweise das Reisen (vor allem Flüge) einschränken könne

Kommunikation: Shenzhen ist eines der wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes und trotz geringer touristischer Anziehuingskraft auf ausländische Besucher eingestellt. Das heisst, dass du hier in der Regel weniger Probleme bei der Kommunikation hast als in anderen Teilen von China.Falls du dich trotzdem unsicher fühlst, empfehle ich dir, meine Tipps zur Kommunikation in China anzuschauen.

Weitere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung:  Das naheliegendste Ausflugsziel von Shenzhen ist natürlich Hongkong (Achtung: für eine Wiedereinreise aufs chinesische Festland brauchst du ein Doppelentryvisa oder ein neues Visa, das du in Hongkong ausstellen lassen kannst). Sehenswert sind vor allem die Dörfer rund um Kaiping mit ihren Wehrtürmen (hier ein Bericht zu Chikan). Ein weiterer schöner Ausflug ist das Danxia-Gebirge mit seinem Penis-Felsen.

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2 Kommentare

  1. Shenzhen ist in der Tat eine total faszinierende Stadt und leider viel zu sehr unterschätzt. Neben Splendid China lohnt sich auch der Besuch in einem der vielen Startup-Zentren. Kurzum: eine Stadt mit vielen jungen, kreativen Leuten, wie z. B. Naomi Wu, deren Tech-Videos auf YouTube Millionen Mal geteilt werden.

    1. Das stimmt. In Shenzhen gibt es auch viele junge Firmen, die spannende Dinge machen. Du erwähnst Startup-Zentren, die man besuchen kann. Was gibt es denn dort zu sehen und erleben? Und sind die für Leute interessant, die selber kein Startup haben?

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