Nirgendwo kann man sich so gut in die Zeit der chinesischen Kaiserreiche zurückversetzen wie in der vormals wohlhabenden Bankenstadt Pingyao in der Nähe von Taiyuan. Hinter der sechs Kilometer langen Stadtmauer scheint die Zeit geradezu stehengeblieben zu sein – ironischwerweise aus Geldmangel.
Die Schritte hallen hohl in den dunklen Gassen wider. Die kleinen Einkaufsläden sind mit dicken Brettern verriegelt, die Strassenbeleuchtung ist bereits ausgeschaltet. Kein Mensch befindet sich nach Mitternacht noch auf der Strasse. Wer spät abends im historischen Pingyao ankommt, einer typischen chinesischen Kleinstadt mit ein- und zweistöckigen Ziegelsteingebäuden, fühlt sich noch tiefer in die Ming-Dynastie zurückversetzt, als bei einer Ankunft am Tag.
Mit dem Stadtplan in der Hand sind wir auf der Suche nach unserer Unterkunft. Es ist leicht, den Weg zu finden. Die Strassen verlaufen alle parallel, die ganze Innenstadt wird von einer rund sechs Kilometer langen Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert eingefriedet, welche die Form einer riesigen Schildkröte hat. Die sechs Stadttore symbolisieren Kopf, Beine und Schwanz des gepanzerten Tiers. Lustigerweise ist das Nordtor, das als Schwanz gilt, auch der niedrigste Punkt der ganzen Stadt. Alle Abwässer werden von hier abgeleitet. Die Form ist indes kein Zufall: In der traditionellen chinesischen Kultur gilt die Schildkröte als ein Symbol der Langlebigkeit.
Aufstieg und Fall einer Bankenstadt
Dass die Kreisstadt in der nordchinesischen Provinz Shanxi, nur etwa 30 Eisenbahnminuten von der Provinzhauptstadt Taiyuan entfernt, überhaupt noch so gut erhalten ist, verdankt sie allerdings nicht dem wohlweislichen Schutz der lokalen Stadtregierung. Als mit dem Beginn der kommunistischen Herrschaft fast alle chinesischen Städte begannen, die Stadtmauern und engen Gassen abzureissen, um dem Verkehr Platz zu machen, war Pingyao schlicht zu arm, um dem Beispiel zu folgen.
Dies ist fast eine Ironie der Geschichte. Denn Pingyao war lange Zeit eine der reichsten Ortschaften Chinas, eine Art historische Wallstreet. In dem staubigen Städtchen war nämlich die erste moderne Bank Chinas gegründet worden. Auch Papiergeld, Schecks und Überweisungen sollen zuerst hier eingeführt worden sein, bevor sie ihren Siegeszug durch das ganze Land antraten. In der Blütezeit gab es in Pingyao insgesamt 22 Geldinstitute – die Hälfte aller Bankinstitutionen im ganzen Land. Der Abstieg begann Ende des 19. Jahrhunderts, als sich durch die Industrialisierung die Handelswege verlagerten und Pingyao an Bedeutung verlor.
Unterkunft in alten Herrschaftshäusern
Wir kommen bei unserer Unterkunft an, die wir bereits im Vorfeld gebucht haben. Auch hier ist der Eingang mit Brettern verschlossen. Auf unser Klopfen macht keiner auf. Ich zücke das Handy und versuche die Rezeption anzurufen. Ein Telefon beginnt hinter der Bretterwand zu klingeln, aber es geht keiner dran. Glücklicherweise haben wir uns hier mit anderen Gästen verabredet, die den Besitzer für uns wecken können. Nach fast einer Viertelstunde sind wir schliesslich in unserem Zimmer.
Dass man unser Klopfen nicht hörte, mag zwar eine mangelhafte Dienstleistung der Unterkunft sein. Aber es hängt auch mit der traditionellen Architektur der Wohnhäuser zusammen. Das Hotel hat nämlich in einem der zahlreichen weitläufigen Herrschaftshäuser der Stadt Platz gefunden. Die Rezeption befindet sich in einer früheren Empfangshalle und die Betreiber des Hotels übernachten irgendwo im hinteren Bereich, weit weg vom Eingang. Irgendwo am anderen Ende der weitverzweigten und reich dekorierten Innenhöfe.
Dies und vor allem auch das spezielle Bett lassen die Schwierigkeiten am Eingang schnell vergessen. Man muss wissen, dass die Menschen in diesem Teil von China früher häufig in Wohnhöhlen lebten. Die Innenarchitektur der Räume mit einem grossen Bett, das den halben Raum einnimmt, geht auf diese Tradition zurück.
Praktische Tipps
Anreise: Seit kurzem ist Pingyao an das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen, so dass sich das Städtchen ab Peking in etwa 3,5 Stunden und ab Taiyuan in etwa 30 Minuten erreichen lässt. Beachte auch meine Tipps zu den chinesischen Eisenbahnen. Da sich der Bahnhof nur etwa fünf Fussminuten vor der Altstadt befindet, ist die Bahn auf alle Fälle gegenüber Bussen vorzuziehen, die teilweise die Gäste an der Autobahnausfahrt aussteigen lassen.
Unterkunft: Pingyao ist auf Besucher aus aller Welt eingestellt und es sollte kein Problem sein, spontan eine passende Bleibe zu finden. Reservationen sind daher unnötig. An der Hauptstrasse vor dem Bahnhof befinden sich mehrere günstige Hotels, die anständige Doppelzimmer ab 60 Yuan anbieten (Stand April 2015). Etwas schöner und teurer ist es jedoch, in einer Unterkunft in der historischen Altstadt zu wohnen, da diese in der Regel in liebevoll sanierten historischen Herrschaftshäusern untergebracht sind. Für die Hotelrecherche in China empfehle ich ctrip.com.
Eintritt: Der Besuch von Pingyao ist grundsätzlich kostenlos – eine löbliche Ausnahme im ansonsten geldgierigen chinesischen Tourismus. Wenn du allerdings die Stadtmauer, die Tempel und einige weitere Sehenswürdigkeiten besichtigen willst, musst du trotzdem ein teures Kombiticket erwerben, das die verschiedenen Sehenswürdigkeiten abdeckt. Falls du sparen und dennoch etwas sehen möchtest: Der zentrale Stadttum ist nicht im Kombiticket inbegriffen und kann mit einem preiswerten Einzelticket besichtigt werden. Das lohnt sich, da du von der Plattform eine tolle Aussicht über die Dächer hast.
Reisezeit: Ich besuchte die Region Anfang April und hatte unglaubliches Glück mit dem Wetter: Obwohl die Kohleprovinz Shanxi allgemein als ziemlich stark verschmutzt gilt, hatte ich jeden Tag einen strahlend blauen Himmel mit sehr angenehmen Temperaturen. Bei meinem letzten Besuch vor etwa drei Jahren im späten Herbst sah jedoch alles etwas grau aus.
Kommunikation: Wohl keine andere historische Stadt in China wird von so vielen ausländischen Touristen besucht wie Pingyao. Restaurants und Hotels sind daher entsprechend auf Besucher aus aller Welt eingestellt. Insbesondere in den Backpackerhostels und den teuren Hotels sollte an der Rezeption jemand Englisch sprechen können. Ansonsten empfehle ich meine Tipps zur Kommunikation in China durchzulesen.
Weitere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung: Mein ganz persönliches Highlight in der Region sind die zivilen Burgen im Süden von Shanxi, allerdings ist die Region etwas schwierig zu bereisen und deswegen bei kaum auf dem Radar von Besuchern. Ebenfalls sehr schön sind Qikou und die umliegenden Dörfer, wo du in den für die Region typischen Höhlenhäusern übernachten kannst. Interessant ist auch der Wutaishan, eine wichtige Pilgerstätte für Buddhisten, die auf halbem Weg nach Datong liegt. Ein Besuch der Provinzhauptstadt Taiyuan lohnt sich nicht.
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Toll, dass du gutes Wetter hast bei deinem wundervollen Tripp 🙂
Kann mich dem soweit anschließen; eine wirklich sehenswerte Altstadt!
Ein paar weitere Tipps meinerseits:
Die Hochgeschwindigkeitszüge halten an einem anderen Bahnhof, der deutlich außerhalb der Stadt liegt.
Abgesehen von der Altstadt gibt es noch zwei recht bekannte Tempel: shuanglin (双林寺) und zhenguo (镇国寺). Ersteren würde ich zwar nicht als sonderlich schön bezeichnen, aber er macht im Gegensatz zu manch anderem Tempel den ich besichtigt habe einen originalgetreu alten Eindruck. Von letzterem wurde mir seitens Einheimischer abgeraten, ob zu Recht kann ich mangels Besuch nicht beurteilen.
Empfohlen wurde mir dagegen das Anwesen der Familie Qiao (乔家大院), dass ich allerdings wegen seiner recht großen Entfernung zu Pingyao (30km) nicht mehr besuchen konnte.
Achnö! Nun haben die chinesischen Eisenbahnen auch diese super Verbindung kaputt gemacht?!? Im April bin ich noch ab dem praktischen Zentralbahnhof nach Peking gefahren.
Ich verstehe echt nicht, wieso China überhaupt Hochgeschwindigkeitsbahnen baut, wenn es die Bahnhöfe dann irgendwo an den Stadtrand stellt. Die Hälfte der gesparten Zeit geht doch so für die Anreise zum Bahnhof verloren und unter Umständen (vor allem auf kurzen Strecken) ist man mit dem Bummelzug deutlich schneller und günstiger unterwegs als mit den neuen Superzügen.
Die Verbindung gibt es noch, keine Angst, damit bin ich auch gefahren (zumindest falls wir beide von K610 reden). Der Zentralbahnhof bedient meines Wissens aber nur K-Züge und die ohne Buchstabe. Mit gerade mal 2 Gleisen finde ich das aber auch nicht verwunderlich, dass die neuen Verbindungen wo anders halten müssen, wenn man nicht die halbe Stadt abreißen will.
Fraglich ist natürlich, ob der neue Bahnhof SO weit außerhalb liegen muss. Jedenfalls musste dafür, untypisch für China, mal rein gar nichts weichen…
Nein, ich bin ab dem Zentralbahnhof mit einem D-Zug gefahren. Also einem Hochgeschwindigkeitszug. Und ich war in etwa vier Stunden in Peking. Ich fand das unglaublich praktisch.
Dass der Zentralbahnhof etwas klein ist, stimmt schon. Aber die drei täglichen D-Züge hätte er wohl auch weiterhin aufnehmen können. Ohnehin verstehe ich nicht, wieso die Züge nicht unterschiedliche Strecken fahren lassen. In Guangzhou geht das doch auch. Der D-Zug aus Shenzhen fährt normalerweise nur bis Guangzhou Ost (?), aber etwa jeder vierte Zug fährt weiter bis nach Guangzhou Zentral.
Ich bin gerade in Pingyao und bin am Hochgeschwindigkeitsbahnhof, der ca 6 km ausserhalb der Stadt liegt, angekommen. Das stellt allerdings kein Problem dar, weil es Busse gibt, die bis ins Zentrum fahren. Dank Offline Karte, konnte ich die Fahrt beobachten und irgendwann einfach rausspringen. Die Fahrt kostete 3 Yuan. Ein Taxi ca. 20-30 Yuan.
Offlinekarten sind super. Bin auch ein grosser Fan davon. 🙂