Flussfront: Chikan wartet mit einer einzigartigen Architektur auf. Fotos: O. Zwahlen

Bist du auf der Suche nach einer chinesischen Kleinstadt, die so aussieht, wie du dir eine solche vorstellst? Dann liegst du mit Chikan richtig. Nicht etwa, weil Chikan besonders typisch wäre. Sondern weil der Ort als wichtige Filmkulisse unsere Vorstellung von der typischen chinesischen Kleinstadt geprägt hat.

Nachdem ich vor ein paar Wochen von der abgelegenen Insel Wailingding vor den Toren Hongkongs berichtet habe, möchte ich heute einen weiteren „Geheimtipp“ vorstellen: Die Rede ist von der Kleinstadt Chikan. Ich habe den Ort vor etwa vier Jahren auf dem Weg nach Hainan besucht. Da ich auf der Durchreise war, hatte ich leider zu wenig Zeit, um mir alles anzuschauen, was das Städtchen zu bieten hat. Auch gelang es mir nicht, die Umgebung zu besuchen. Es lohnt sich aber, das zu tun und gleich ein paar Tage einzuplanen.

Bekannt ist die Region in der Nähe von Guangzhou (Provinz Guangdong) vor allem wegen der so genannten Diaolou. Dies sind befestigte Gebäude, die sowohl als Wohnhäuser wie auch als Verteidigungsanlagen genutzt wurden. Die ältesten wurden ab dem Ende des 19. Jahrhundert von heimkehrenden Emigranten als Reaktion auf Kriegswirren errichtet. In der ganzen Region waren einst über 3000 solche Gebäude errichten worden, von denen laut einer jüngeren Studie der Lokalregierung noch immer etwa 1800 erhalten sind. In Chikan selbst gibt es keine solchen Türme.

Rundgang durch Chikan

Das Wasser im Fluss schimmert etwas grünlich, der schwarzgraue Himmel wirkt bedrohlich. Es ist Herbst in Chikan. Noch immer ist es hier schwül-warm. Die hohe Luftfeuchtigkeit macht den alten Häusern sichtbar zu schaffen: Die Fassaden sind moderig und bei vielen Gebäuden spriesst es grün aus den Ritzen.

Die Hauptstrasse, die zum Fluss führt.

Die Hauptstrasse, die zum Fluss führt.

Imposant ist vor allem die Flussfront von Chikan. Ich gehe über die Brücke, um bessere Fotos vom Ort schiessen zu können. Da kommt eine chinesische Reisegruppe auf mich zu. Die Reiseleiterin hält ein Fähnchen in der Hand. Sie will wissen, woher ich stamme – eine Frage, die ich in all den Jahren in China schon tauschend Mal beantwortete. Doch auch mich interessiert etwas. Obwohl das Städtchen durchaus charmant ist, habe ich hier keine einzige Langnase gehen. “Nein”, sagt sie. “Ausländer verirren sich selten hierher.”

Dabei hat der Ort auch für westliche Touristen einiges zu bieten. In den alten Gassen fühlt man sich leicht ein paar Jahrzehnte zurückversetzt. Die meisten Besucher eilen direkt in eine der zahlreichen historischen Apotheken des Orts (verwundete Kung-Fu-Kämpfer sollen angeblich gerne im Ort ihre Medizin gekauft haben) oder in eine der beiden Bibliotheken, welche die zwei konkurrierten Grossfamilien Guan und Situ im Ort errichtet haben.

IMG_8698

Bunte Fenster sind für Chikan typisch.

Bei meinem Besuch war eine davon geschlossen. “Es wird gerade ein historischer Film gedreht”, erklärt ein Sicherheitsangestellter am Tor. “Kommen Sie doch nächsten Monat noch einmal.” Etwas später sollte ich herausfinden, dass ich auf die Dreharbeiten des chinesischen Blockbusters “Let the Bullets fly” mit Yun-Fat Chow gestossen bin – ein etwas schräger, aber sehenswerter Eastern.

Chinas heimliche Kinostadt

„Let the Bullets fly“ ist bei weitem nicht der einzige Film, der in Chikan gedreht wurde. Insbesondere in den 1930er-Jahren war der Ort eine Hochburg des chinesischen Kinos. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man das Filmmuseum der Ortschaft besucht.

Auch wenn Chikan so aussieht, wie sich die meisten von uns eine chinesische Kleinstadt vorstellen, so ist die Architektur doch eine etwas seltsame Mischung von westlichen und östlichen Elementen. Gegründet wurde der Chikan während der Song-Dynastie (960-1279). Relativer Wohlstand setzte allerdings erst ein, als die beiden oben erwähnten Familien zuzogen. Die alten einstöckigen Hütten begannen höheren Wohnhäusern zu weichen.

Im Gemeindemuseum: In traditionell eingerichteten Räumen lässt sich die Geschichte der Stadt nachvollziehen.

Im Gemeindemuseum: In traditionell eingerichteten Räumen lässt sich die Geschichte der Stadt nachvollziehen.

Wie man im Gemeindemuseum auf ausführlichen englischsprachigen Schautafeln erfährt, erlebte die Region in den letzten beiden Jahrhunderten eine massive Abwanderung. So sollen mehr als 750.000 Menschen in der ganzen Welt aus der Region stammen. Viele verdingten sich in Australien, Kanada oder den USA als billige Arbeitskräfte in den Goldminen und beim Bau des dortigen Eisenbahnnetzes.

Im Museum wird geschildert, mit welchen Vorurteilen und Problem die Auswanderer an der Wende zum 20. Jahrhundert zu kämpfen hatten. Viele von ihnen kehrten dennoch relativ wohlhabend in ihre Heimat zurück und errichteten für sich und ihre Familien beindruckende Wohnhäuser. Dabei vermischten sie oft auf wunderliche Weise chinesische und westliche Architekturelemente.

Blick aus dem Gemeindemuseum auf die Arkaden.

Blick aus dem Gemeindemuseum auf die Arkaden.

Auch die Flussfront stammt aus dieser Periode. Dies erkennt man beispielsweise an den Arkaden, die es Fussgänger erlauben, trockenen Fusses durch den Ort zu spazieren. Ich kann mich nicht erinnern, in einer anderen chinesischen Stadt jemals Arkaden gesehen zu haben.

Weitere Ziele in der Umgebung

Chikan ist indes nicht das einzige interessante Dorf in der Region. Nicht weit entfernt befinden sich die Ortschaften Liyuan und Zilicun. Während Liyuan als besterhalten gilt, wird gelegentlich auch der museale Charakter beklagt. Zilicun besteht hauptsächlich aus Ruinen eines früheren Dorfs und verfügt über einen riesigen Wachturm.

In der näheren Umgebung stehen zahlreiche Wohntürme. Sie sind oft freistehend und ausserhalb der Siedlungen. Es sollte kein Problem sein, mit einem Taxifahrer eine Rundfahrt zu diesen Wohntürmen zu organisieren. Einige davon lassen sich besichtigen.

Sehenswert: Die Diaolou-Wohntürme rund um Kaiping. Foto: ToisanHeritage / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Sehenswert: Die Diaolou-Wohntürme rund um Kaiping. Foto: ToisanHeritage / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Anreise und Unterkunft

Chikan verfügt zwar über einige typisch chinesische Hotels. Glaubt man den Berichten anderer Reisender, so sind diese aber meistens in einem schlechten Zustand und massiv überteuert. Ich kam damals im Zentrum von Kaiping im neu renovierten Kaiping City Sanbu Junying Hotel unter. Die Auszahl an Unterkünften, die Ausländer aufnehmen, ist klein. Reserviere dir am besten im Vorfeld schon ein Hotel.

Die Anreise nach Chikan stellt keine grosse Herausforderung dar. Von jeder Busstation in Guangzhou kannst du in rund zwei Stunden nach Kaiping (開平) fahren. Ich bin in Guangzhou auf der Shamian Dao, so dass die Busstation Fangcun die beste Option ist. Diese liegt in unmittelbarer Nähe der Metrostation Kengkou. Von Kaiping fährt ein Lokalbus nach Chikan (赤坎). Alternativ kannst du für die kurze Distanz von etwa 15 Kilometer auch ein Taxi mieten.

Neu auf Sinograph? Lese hier, worum es auf dieser Seite geht. Hat dir dieser Text gefallen und du möchtest künftig keinen Artikel mehr verpassen? Dann folge mir am besten über meine Facebook-Seite.

Das könnte dir auch gefallen

Hinterlasse eine Nachricht

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.