Seit einigen Wochen erlaubt die südchinesische Provinz Guangdong einen visafreien Aufenthalt von 144 Stunden für Transitpassagiere. In diesem Beitrag gebe ich dir Tipps, wie du China visafrei bereist und was du in den sechs Tagen alles erleben kannst.

Die südchinesische Provinz Guangdong gehört nicht unbedingt zu den Gegenden, die das Herz jedes Chinareisenden höher schlagen lassen. Die „Werkbank der Welt“ verfügt über vergleichsweise wenig klassische Sehenswürdigkeiten und ist stark industrialisiert. Trotzdem gibt es ein paar gute Gründe, Guangdong zu besuchen.

Der vielleicht Wichtigste: Die Provinz lässt sich so gut in ein Stopover-Programm einbauen, wie fast keine andere Region in China. Guangzhou wird direkt aus Europa angeflogen und ist auf dem Weg Richtung Südostasien nur ein kurzer Umweg. Und das Beste: Wenn du es richtig anstellst, brauchst du für deinen Besuch nicht einmal ein teures Visum.

Doch auch sonst hat Guangdong mehr zu bieten als Fabriken. Da ist zum Beispiel die Gourmethauptstadt Guangzhou mit ihren unzähligen Leckereien aus der kantonesischen Küche; da ist das hypermoderne Shenzhen, das einen Blick in Chinas Zukunft erlaubt; und dann sind da noch die traditionellen Dörfer rund um Kaiping sowie einige andere tolle Sehenswürdigkeiten. Kurz: Guangdong ist ein guter Ort, um einen Einblick in das Alltagsleben des bevölkerungsreichsten Lands der Welt zu werfen.

In diesem Artikel möchte ich dir ein paar Ideen liefern, wie du deine sechs Tage (beziehungsweise 12 Tage, wenn du auf dem Rückweg ebenfalls einen Stopover in Guangzhou einlegst) sinnvoll verbringst. Am Ende gibt es noch ein paar praktische Tipps für das Reisen in Guangdong und – ganz wichtig – die Regeln für einen visafreien Aufenthalt in Guangdong.

 

 

Ziel 1: Die Provinzhauptstadt Guangzhou (2 Tage)

Guangzhou gehört bei einem Besuch der Provinz Guangdong einfach dazu. Nicht nur, weil die Provinzhauptstadt ein paar interessante Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, sondern auch, weil du den wichtigen Verkehrsknotenpunkt sowieso immer wieder ansteuern musst.

Meine liebste Ecke in Guangzhou ist die Shamian-Insel. Die rund 1000 Meter lange und 500 Meter breite Sandbank wurde nach dem Opiumkrieg von Frankreich und England bebaut. Viele der damaligen Kolonialbauten, vor allem Kirchen und Villen, stehen heute noch und verleihen der kleinen Insel einen einzigartigen Charme. Auch viele Chinesen mögen die europäisch angehauchte Atmosphäre: An allen Ecken kannst du Hochzeitsfotografen bei der Arbeit beobachten.

Willst du etwas Kultur atmen, kannst du dir eine der historischen Sehenswürdigkeiten ansehen. Hier bieten sich vor allem die Sun Yat-sen Gedächtnishalle und der Ahnentempel der Familie Chen an. Beide Orte haben eine gewisse historische Bedeutung, sind aber vom touristischen Erlebniswert keine grosse Offenbarung – vor allem, wenn du China schon ein bisschen kennst.

Wenn du moderne Architektur magst, solltest du dir das Opernhaus von Guangzhou anschauen, das die irakische Stararchitektin Zaha Hadid entworfen hat. Nimm unbedingt einen Ausweis mit, denn dann kannst du dich einer der kostenlosen Führungen durch das spannende Gebäude anschliessen. Das ist sehr empfehlenswert.

Vom Opernhaus ist es nur eine U-Bahnstation oder ein 30-minütiger Spaziergang zum eigenwillig geschwungenen Kanton Tower. Der hiesige Fernsehturm ist mit seinen 600 Metern der höchste im Land und derzeit der drittgrösste der Welt. Kein Wunder bietet der Turm die beste Aussicht der ganzen Stadt. Sofern du nicht an Höhenangst leidest, geniesst du diese übrigens am besten mit dem sogenannten Bubble Tram. Das ist eine Art horizontales Riesenrad auf der Spitze des Fernsehturms.

Falls dein Budget den teuren Fernsehturm nicht zulässt, kannst du dich auch auf den wenige Kilometer nördlich des Zentrums gelegenen Baiyun-Berg begeben. Auch hier hast du ein grandioses Panorama auf die Stadt und das Perlflussdelta. Besonders schön ist das Ausflugsziel am Abend, wenn die Sonne hinter den Hochhäusern verschwindet. Um Zeit zu sparen, kannst mit einer Seilbahn hochfahren.

Dauer: Plane für Guangzhou etwa zwei Tage ein

Hoteltipp für Guangzhou: Die Shamian-Insel gehört zu den angenehmsten Standorten für ein Hotel. Budgetbewusste finden dort mehrere  Mittelklassehotels*,  und wer das nötige Kleingeld mitbringt, wird das luxuriöse White Swan Hotel* lieben. Auf der Insel Shamian gibt es auch eine gute Jugendherberge, in der ich mehrmals war. Allerdings lässt sich ihr Dormbed nicht mehr online buchen.

 

Eine der bekanntesten klassischen Sehenswürdigkeiten: Der Ahnentempel der Familie Chen.

Moderne Architektur vom Feinstern: Das Guangzhou Operhaus

Aussicht auf Guangzhou vom Baiyun-Berg – an einem klaren Tag noch besser.

 

Ziel 2: Shenzhen (2 Tage)

Das Besondere an Shenzhen:  Dort, wo heute eine moderne Millionenstadt in den Himmel ragt, stand vor 40 Jahren nur ein kleines Fischerdörfchen. Wer heute in der Stadt lebt, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit erst im Erwachsenenalter aus einer anderen Provinz zugezogen. Deswegen siehst du auf den Strassen viele junge Menschen und findest überall auf sie zugeschnittene Angebote.

In Shenzhen wird geschätzt die Hälfte der Weltelektronik hergestellt. Vermutlich kommt auch das Handy oder der Computer, mit dem du diesen Text liest, aus Shenzhen. Dieser Tatsache frönst du am besten, indem du in eine der riesigen Elektronik-Malls gehst. Die Einkaufstempel unterscheiden sich in ihrem Wesen teilweise stark. In den einen findest du Markenwaren, in den anderen günstige Nachbauten. Und in nochmals anderen Zubehör oder Ersatzteile. Auch wenn du nichts brauchst, ist es interessant, die neuen Produkte anzuschauen.

Ebenfalls ein guter Ort zum Einkaufen ist Dafen. Im einstigen Vorort arbeiten hunderte Maler rund um die Uhr daran, berühmte Ölgemälde zu kopieren. Zunehmend schaffen die Künstler aber auch interessante Eigenkreationen. Das Stadtviertel besteht aus einigen wenigen Strassen mit zahlreichen Galerien, wo du den Malern über die Schultern blicken kannst. Dafen lohnt sich allein wegen der angenehmen Atmosphäre.

Falls du in einer stimmungsvollen Atmosphäre etwas trinken möchtest, empfehle ich dir das OCT Loft. Das ist gewisssermassen das lokale Äquivalent zur Kunstfabrik 798 in Peking. Hier findest du ein paar coole Läden, moderne Kunstgalerien und ein paar stylishe Cafés.

Shenzhen ist ausserdem bekannt für seine hervorragenden Themenparks. Für China-Reisende am interessantesten dürfte „Splendid China“ sein. Im ersten Teil findest du hunderte Miniaturnachbauten von den wichtigen Sehenswürdigkeiten des Landes, was das Ausstellungsgelände zu einem hervorragenden Ort für Reiseinspirationen machen. Der zweite Teil widmet sich der Lebensweise der Minderheiten. Hier kannst du lokale Speisen versuchen, Minderheitenhäusern besuchen oder den typischen Tänzen zusehen. Falls du dich für Splendid China entscheidest, solltest du genügend Zeit einplanen: Ich verbrachte einen ganzen Tag in der Anlage und konnte nicht alles sehen.

In der Nähe von Shenzhen gibt es zudem mehrere Badestrände, die zum Teil auf vorgelagerten Inseln sind. Da ich selber keine Strände besucht habe, kann ich dazu nichts aus eigener Erfahrung sagen. Über einen Kommentar würde ich mich aber freuen.

Dauer: Plane für den Aufenthalt in Shenzhen etwa zwei Tage ein.

Hoteltipp für Shenzhen: Shenzhen hat die Gestalt eines langzogenen Schlauchs. Egal, wo du unterkommst, wirst du längere Fahrten auf dich nehmen müssen. Relativ mittig ist Futian. Für Budget-Reisende interessant ist das modernistische Kapselhotel Star Whisper Spacecraft*. In der Mittelklasse sind Motelketten wie das Hanting in Futian* ein guter Anlaufpunkt. Das 5-Sterne-Hotel mit den besten Bewertungen scheint das Ritz-Carlton* zu sein.

Lesetipp: Was Shenzhen so besonders macht

 

Modernes Stadtviertel in Shenzhen.

Im Künstlerviertel Dafen und dem Szeneviertel OCT Loft kannst du den Künstlern bei der Arbeit zuschauen.

China an einem Tag: Möglich im Themenpark „Splendid China“.

 

Ziel 3: Die Wohntürme von Kaiping (2 Tage)

Zu den aussergewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten von Guangdong gehören die Wohntürme (Diaolou) rund um Kaiping. Die seltsam geformten Gebäude dienten den lokalen Händlern nicht nur als Wohnhäuser, sondern auch als Lagerhallen und sind daher ähnlich wie kleine Festungen gebaut.

Interessant sind die Wohntürme aus architektonischer Sicht, da in ihnen traditionelle chinesische Elemente mit westlichen Stilformen verschmelzen. Der Grund hierfür liegt in ihrer Entstehungsgeschichte: Die Türme waren von Chinesen gebaut worden, die Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika ein kleines Vermögen angehäuft hatten und dies nach ihrer Rückkehr in Häuser investierten.

In Kaiping selber gibt es keine Diaolous, sondern nur in den benachbarten Dörfern. Zwar sind die jeweils gut mit Bussen erschlossen, aber wenn du in kurzer Zeit mehrere Dörfer besuchen willst, solltest du am besten für einen Tag einen Taxifahrer nehmen, der dich zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten bringt.

Alternativ (oder zusätzlich) kannst du auch die Stadt Chikan besuchen, in der die meisten Sehenswürdigkeiten kompakt an einem Ort sind. Chikan ist übrigens regelmässig Kulisse für chinesische Filme. Auch bei meinem Besuch wurde gerade ein Kinostreifen gedreht.

Dauer: Für die Besichtigung reicht eigentlich ein voller Tag. Da aber die Anreise ab Guangzhou locker ein drei Stunden verschlingt, würde ich eine Übernachtung vor Ort empfehlen.

Unterkünfte in Kaiping: Die Auswahl an Unterkünften, die Ausländer aufnehmen, ist hier sehr eingeschränkt. Ich war damals im frisch renovierten Kaiping City Sanbu Junying Hotel, das mir sehr gut gefallen hat. Es gibt auch teurere Varianten. Angesichts der wenigen Alternativen empfehle ich, frühzeit das Hotel zu buchen.

Lesetipp: Die heimische Filmhauptstadt Chikan.

Chikan wartet mit einer einzigartigen Architektur auf.

Die Hauptstrasse, die zum Fluss führt.

 

Weitere Ideen für Guangdong

Um die drei oben genannten Reiseziele zu besuchen, brauchst du ungefähr die 144 Stunden, die dir bei einem Stopover in Guangzhou/Guangdong zur Verfügung stehen. Wenn du auf dem Rückweg noch einmal in Guangdong bleibst oder die andere Ziele anschauen möchtest, findest du hier ein paar weitere Ideen:

Das Danxia-Gebirge: Etwa eine Stunde nördlich von Guangzhou befindet sich der vermutlich erotischste Naturpark Chinas. In dem sehenswerten Gelände findest du einen natürlich entstandenen Riesen-Steinpenis sowie das weibliche Gegenstück. Die abgelegene Bergregion hat jedoch auch sonst einiges zu bieten. Rechne mit zwei Tagen. Mehr dazu findest du hier.

Lehmhäuser der Hakka: Auch wenn sich die meisten Rundbauten der Hakka in der Nachbarprovinz Fujian befinden, kannst du auch ganz im Osten von Guangdong ein paar schöne Exemplare besuchen. Dazu musst du zuerst nach Chaozhou fahren und von dort aus weiter nach Raoping. Beachte aber die weiten Distanzen und rechne mit einem ganzen Fahrtag, so dass du für diesen Ausflug etwa drei Tage einplanen solltest.

Die Insel Wailingding. Rund um Hongkong gibt es jede Menge kleine Inseln, die teilweise zum chinesischen Festland gehören. Eine davon ist Wailingding. Hier findest du ein paar kleine Sandstrände, die allerdings etwas schwer zu erreichen sind. Der Hauptgrund für einen Besuch ist jedoch der verschlafene Charme, den du sonst kaum noch in China findest. Mehr dazu hier.

Jugendfreie Ecke des für seinen Penisfelsen bekannten Danxia-Naturpark.

Kein „Pflichtprogramm“, aber „Geheimtipp“: Die Insel Wailingding.

 

Die Visaregel im Detail

Seit dem 1. Mai 2019 erlaubt die Provinz Guangdong eine visafreie Einreise für die Dauer von 144 Stunden für Transitpassagiere.  Das heisst, du brauchst kein Visum für Guangdong, wenn du a.) weniger als 6 Tage in der Provinz bleibst, b.) ausschliesslich Guangdong besuchst und in keine weitere Provinz in China weiterreist (auch nicht für einen Zwischenstopp im Flughafen) und wenn du c.) ein Weiterreiseticket in einen Drittstaat vorweisen kannst (das heisst: Deutschland – Guangdong – Deutschland geht nicht, Deutschland – Guangdong – Vietnam hingegen schon).

Die visafreie Ein- und Ausreise ist an allen drei internationalen Flughäfen von Guangdong problemlos möglich: Baiyun Airport (Guangzhou), Bao’an Airport (Shenzhen) und Chaoshan Airport (Jieyang). Du darfst das Land auch an einem anderen Ort verlassen wie du eingereist bist. Die Landübergänge nach Hongkong und Macao und die Häfen erlauben eine Ausreise, nicht aber eine Einreise. Hier würde ich mich über Erfahrungsberichte von Lesern freuen.

Wenn diese Punkte nicht auf dich zutreffen, brauchst du für die Provinz Guangdong ein gewöhnliches Visum. Das gilt dann in der Regel 30 Tage (und kann auf bis zu 90 Tage verlängert werden) und erlaubt dir auch, die Nachbarprovinzen zu besuchen. Hier findest du Details zu den Visa-Regeln.

Sollten dir die 144 Stunden nicht ausreichen, kannst auf dem Rückweg erneut einen Zwischenstopp von 144 Stunden in Guangdong einlegen und auf diese Weise ingesamt fast zwei Wochen in Guangdong bleiben. Möglich ist es auch, auf dem Rückweg einen anderen Stopover einzulegen. Du kannst beispielsweise auch Deutschland – Guangdong – Vietnam – Shanghai – Deutschland fliegen.

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