Kaum ein Objekt wird häufiiger in Tianya Haijiao, dem „Ende der Welt“ fotografiert, als diese Palme. Fotos: Oliver Zwahlen

Kaum ein Objekt wird häufiiger in Tianya Haijiao, dem „Ende der Welt“ fotografiert, als diese Palme. Fotos: Oliver Zwahlen

Erst wenige verbinden mit China Badespass. Dabei verwandelt das Reich der Mitte die südchinesische Tropeninsel Hainan gerade mit rasender Geschwindigkeit in ein internationales Badeparadies. Für Bescheidenheit gibt es bei den Entwicklern offenbar keinen Platz.

Wang Yue bringt die Digitalkamera in Position. Seine Freundin Zhang Xuemei räkelt sich ein bisschen vor der Palme, setzt ihr süssestes Lächeln auf und ruft: „Aubergine.“  Wenn man das chinesische Wort „Qiezi“ korrekt ausspricht, verformt sich der Mund zu einem Lächeln, wie es sich für ein richtiges Erinnerungsfoto gehört. Noch eine Pose, dann ist die Zeit um. Weitere Paare warten bereits neben der seltsam geschwungenen Pflanze darauf, den Urlaub ebenfalls verewigen zu können. Wang nimmt seine Freundin an der Hand und führt sie in Richtung der nächsten Sehenswürdigkeit: Ein Felsen, auf dem einst ein revolutionärer Parlamentarier eine Kaligraphie angebracht hatte. Anstehen, warten. Auf dem touristischen Parcours herrscht Stosszeit.

Wir befinden uns im Tourismuspark Tianya Haijiao. Der sandige Strandabschnitt mit den bizarr geformten Felsen markierte einst das südliche Ende Chinas – und damit nach chinesischer Auffassung zugleich das Ende der Welt. Zwar liegt die südchinesische Insel Hainan kaum mehr als ein Steinwurf von der Küste Vietnams entfernt und ist heute in rund einer Flugstunde ab Hongkong oder Guangzhou erreichbar. Doch  früher war es die relative Abgeschiedenheit, welche die Gegend zum idealen Verbannungsort  für politische Gegner, in Ungnade gefallene Mandarine und Verbrecher gemacht hat.  Ein Ende der Welt im doppelten Sinn.

Von der Sträflingsinsel zum Urlaubsparadies

Dies hat sich längst geändert. Wer heute das vormalige Alcatraz mit Sonnengarantie besucht, kann sich nur schwer vorstellen, dass bei früheren Generationen alleine der Name der Insel Angst und Schrecken hat verbreiten können. Immer mehr Chinesen besuchen die Region, in der stets Sommer ist: Im Jahr 2015 zählte die Ferieninsel über 50 Millionen Reisegäste. Die meisten von ihnen aus dem Inland. Dabei kommt Hainan zu Gute, dass es mit dem auftrumpfen kann, was sonst in China Mangelware ist: Saubere Luft, klares Wasser und vor allem Ruhe.

Chinesen tragen gerne Hainanhemden – eine Anlehnung an die bekannteren Hawaii-Hemden.

Chinesen tragen gerne Hainanhemden – eine Anlehnung an die bekannteren Hawaii-Hemden.

„Europäer finden ihren Weg noch selten hierher“, erklärt  Chris. Der aus Singapur stammende Mittvierziger, den in der ganzen Stadt jeder nur beim Vornamen zu kennen scheint, betreibt seit mehreren Jahren das Sanya Backpackers und eine Tauchschule. Ein Urlaub in den südostasiatischen Ländern komme billiger und China habe überdies im Westen noch immer bei vielen ein Image-Problem, erläutert er. „Doch das Interesse an China als Reiseland steigt allgemein. In wenigen Jahren wird China mehr Besucher anziehen als Frankreich und auch Hainan wird davon profitieren“, ist Chris überzeugt. Nebst den feinen Sandstränden habe auch die Unterwasserwelt das Potential, ein internationaler Tourismusmagnet zu werden.

Dies wäre ganz nach dem Gusto der Behörden. Nachdem die Insel 1988 aus der Nachbarprovinz Guangdong ausgegliedert und in eine Entwicklungszone verwandelt worden war, setzte der touristische Aufstieg rasch ein. Inzwischen hat die Provinz gleichsam Blut geleckt und will die Einnahmen aus dem Tourismussektor immer weiter steigern.

Eine Insel im Bauboom

Die dafür notwendige Infrastruktur besteht bereits zu weiten Teilen. Seit einigen Jahren ist die Insel ans Netz der Hochgeschwindigkeitsbahnen angeschlossen. Mehrere Nationalparks und Naturschutzgebiete sind schon vor längerer Zeit ausgewiesen worden, und weitere kommen ständig dazu. Beispielhaft ist etwa der Yanoda-Park. Der dichte Primärwald, der rund 35 Kilometer von Sanya entfernt liegt, war 2008 erschlossen worden.

Auf der Insel buhlen zudem über 20 Golfplätze um die Gunst der Neureichen, weitere sind in Planung. Und weil Chinesen gerne an Orte reisen, die mit Superlativen von sich werben, ist der Nanshan-Tempelanlage kurzerhand die weltgrösste Guanyin-Statue (ein weiblicher Bodhisattva des Mitgefühls) zugefügt worden. 108 Meter ist sie hoch und sie überragt – eigentlich selbstredend – sogar die Freiheitsstatue in New York. Es wird gemunkelt, dass in der Spitze der Statue ursprünglich eine Aussichtsplattform mit einem High-End-Restaurant hätte entstehen sollen.

Nur wenige Kilometer westlich von Sanya befindet sich diese über hundert Meter hohe Statue

Nur wenige Kilometer westlich von Sanya befindet sich diese über hundert Meter hohe Statue

Um diese Entwicklung auch sprachlich fassen zu können, kam das Inselmarketing darauf, Hainan als das „Hawaii des Ostens“ zu betiteln. Der Vergleich ist nicht ganz abwegig. Nicht nur teilen sich beide Orte eine ähnliche Klimazone, sondern auf beiden Inseln gibt es eine spezifische Art der Ferienkleidung. Wer am Stand spaziert, muss meist nur wenige Minuten warten, bis jemand in einem farbenfrohen Hemd mit Palmen und bizarren Mustern und den dazugehörigen Bermudas vorbeikommt. Oft sind es gleich ganze Reisegruppen, die ein identisches Outfit tragen, das offensichtlich dem grossen Vorbild im Westen nachempfunden ist.

Europäische Badegäste sollten sich vom chinesischen Massentourismus allerdings nicht abschrecken lassen. Wider Erwarten sind die Strände in Hainan nämlich weitgehend leer. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bei den chinesischen Besuchern weder Schwimmen noch Sonnenbaden besonders hoch im Kurs stehen. Wer sich eine Reise nach Hainan leisten kann, will nicht braungebrannt wie ein Wanderarbeiter heimkehren, erklärt Reiseführerin Chen Qian mit einem Sonnenschirm in der Hand. Offenbar will auch sie nicht „bäuerlich“ braun aussehen.

Trotz Boom leere Strände

Wie in allen weitgehend künstlichen Reisedestinationen muss man auch in Hainan die Authentizität erst suchen. Sie zu finden, ist allerdings leichter als man denkt. Insbesondere ein Besuch der Stadt Sanya jenseits der Hotelanlagen lohnt sich. In ihren Seitengassen spielt sich das wahre Leben der Insel ab. Die älteren Bewohner messen sich beim Karten- oder Schachspiel und zeigen sich gegenseitig die Bilder ihrer Enkel, um ihnen bei der Suche nach einem geeigneten Ehepartner unter die Arme zu greifen. Am Abend werden auf den Plätzen Lautsprecher aufgestellt und bis spät in die Nacht hinein Walzer und Polka getanzt.

Die Yalong-Bucht bei Sanya bietet einen der schönsten Stränden Chinas.

Die Yalong-Bucht bei Sanya bietet einen der schönsten Stränden Chinas.

Wer danach noch früh am Morgen aufstehen mag, sollte in der Stadt den grössten Fischmarkt der Insel auf keinen Fall verpassen. In den kleinen Garküchen kann man die vielseitigen und meistens preiswerten Meeresfrüchte ausprobieren, bevor sie in den Hotelküchen landen: Seesterne, Muscheln, diverse Fischarten und Schalentiere. Und wem der Sinn nach etwas Ausgefallenerem steht: Frittierte Seidenrauben gelten als die Spezialität der Stadt.

Praktische Tipps vom Autor

Anreise: Hainan verfügt über zwei Flughäfen: Einer befindet sich in der Hauptstadt Haikou, der andere im Süden im Ferienort Sanya. Die Fahrt zwischen den beiden Zentren beträgt im Hochgeschwindigkeitszug rund zwei Stunden. Hainan lässt sich vom Festland auch mit Bussen und Zügen erreichen, die in eine Fähre verladen werden, was entsprechend Zeit kostet. Siehe hier meine Tipps zum Buchen von Zügen in China.

Unterkunft: Hainan ist geprägt von den zahlreichen Resorts, die sich am Strand aneinanderreihen. Ausser in der Yalong-Bucht gibt es kaum internationale Hotelketten. Trotz Boom hat es auf Hainan eine Überkapazität an Hotelbetten und mit etwas Glück und Verhandlungsgeschick kannst du gewaltige Preisnachlasse aushandeln. Auch auf den Bettenportalen findest du heftige Preisabschläge. Für eine Reservation empfehle ich Agoda oder Booking. Beachte auch die Tipps für die Suche nach Hotels in China.

Eintritt: Die Strände sind generell frei zugänglich, allerdings verlangen die meisten Hotels von Nichtgästen für die Liegen und Sonnenschirme ein Miete von rund 100 Yuan pro Tag. Das Ende der Welt und die Guanyin-Statue kosten jeweils einen happigen Eintritt.

Reisezeit: Sanya ist ganzjährlich tropisch warm und lädt zum Baden ein, während in Haikou die Jahreszeiten leicht spürbar sind. Da in den Sommermonaten regelmässig Wirbelstürme über die Insel ziehen, eignet sich der Winter allerdings leicht besser für einen Besuch.

Kommunikation: Hainan wird neben chinesischen Touristen vor allem von Russen besucht. Entsprechend sind in Sanya viele Läden auf Russisch angeschrieben. In den Touristenzentren ist aber auch Englisch verbreitet. Falls du dich trotzdem unsicher fühlst, empfehle ich, meine Tipps zur Kommunikation in China durchzulesen.

Weitere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung: Hainan ist tatsächlich das Ende der Welt und lässt sich eigentlich nur mit der Provinz Guangdong sinnvoll verbinden. Mein persönliches Highlight sind die alten Städte rund um Kaiping wie zum Beispiel Chikan.

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