Leuchtreklame für die Miete von Frieren auf dem Gipfel: In einem Tempel auf dem Taishan werden alte Militärmäntel verliehen. Fotos: O. Zwahlen

Frieren auf dem Gipfel: In einem Tempel auf dem Taishan werden alte Militärmäntel verliehen. Fotos: O. Zwahlen

Im alten China galt der Sonnenaufgang, den man vom Gipfel des ostchinesischen Bergs Taishan sieht, als der schönste der Welt. Damals glaubten die alten Chinesen allerdings auch, dass der rund 1500 Meter hohe Hügel in der Provinz Shandong die höchste Erhebung der Welt sei. Ein Wanderbericht in Anführungszeichen.

Als ich vor rund zwei Jahren an einem Wochenende einen Ausflug zum Taishan unternehmen wollte, hatte man mich eindringlich gewarnt: Der Berg sei nicht besonders hoch, die Besteigung trotzdem sehr anstrengend. Ich packte also meine Wanderschuhe und fünf Pflaster ein. Was ich nicht wusste: Das wirklich Anstrengende war, eine vernünftige Unterkunft zu finden.

Ab Peking dauert die Fahrt in einem der zahlreichen Hochgeschwindigkeitszüge nach Taian, der Stadt am Fusse des heiligen Bergs, nicht einmal zwei Stunden. Diesem Umstand mag wohl auch geschuldet sein, dass viele Besucher den Taishan nachts besteigen. Insbesondere Chinesen, die an Bürozeiten gebunden sind, laufen gern gegen elf Uhr abends los. So erreichen sie den Gipfel rechtzeitig zum Sonnenaufgang.

Ich fand es allerdings schade, im Dunkeln nichts vom Weg zu sehen, und entschloss mich daher,  die 6293 Stufen erst am nächsten Tag unter die Füsse zu nehmen. Gelohnt hat sich das nicht: Auf den Gipfel führt ein mehr oder weniger gerader Weg, der zum grössten Teil einem steilen Seitental folgt. Die einzige Aussicht, die sich einem bietet, sind die bereits erklommen Treppenstufen.

Treppensteigen für Hartgesottene: Fast 7000 Stufen führen auf den Gipfel des Taishans.

Treppensteigen für Hartgesottene: Fast 7000 Stufen führen auf den Gipfel des Taishans.

Der Weg führt an zahlreichen kleinen schönen  Gebäuden vorbei, in denen heute Souvenirs und Getränke verkauft werden – mit steigenden Preisen. Unten kostete ein Cola noch fünf Yuan, später zehn und auf dem Gipfel 15. Lustigerweise  waren die Dose und die fast doppelt so grosse Flasche gleich teuer. Als ich die Verkäuferin fragte, ob denn bei dieser Preispolitik überhaupt jemals jemand eine Dose gekauft habe, schaute sie mich nur verdattert an. Dann schrie sie durch den Laden, dass sich mal endlich jemand um den Ausländer kümmern soll.

Militärmäntel gegen die Kälte

Für den Aufstieg braucht man etwa fünf Stunden. Ich kam gerade oben an, als die Sonne bereits am Untergehen war.  Der Gipfel hinterliess bei mir einen etwas durchzogenen Eindruck. Kaum war ich durch das „Südhimmelstor“ geschritten, begrüsste mich vor den antiken Tempeln Leuchtreklame.  Darauf wurden wahlweise Unterkünfte angepriesen, ein günstiges Frühstück und die Miete von alten Militärmänteln. Bald sollte sich allerings zeigen, dass die dicken Steppmäntel keine schlechte Idee sind: Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es empfindlich kühl.

Andacht auf Chinesisch: Eine der zahlreichen Tempelanlagen auf dem Taishan.

Andacht auf Chinesisch: Eine der zahlreichen Tempelanlagen auf dem Taishan.

Da ich am nächsten Morgen um fünf Uhr aufstehen musste, entschloss ich mich, schnell ein Zimmer zu suchen. Ich hatte im Internet viel Negatives über die Hotels auf dem Taishan gelesen. In einem Forenbeitrag erzählte jemand, dass er unter einem „albernen Vorwand“ sein Depot nicht zurückbekommen habe; ausserdem seien alle Unterkünfte ziemlich grottig. Ich begebe mich in das erste Hotel, wo mir beschieden wird: Ausländer dürfen nur in teure Unterkünfte, das sei eine polizeiliche Bestimmung.

Ich gehe also über die Strasse und schaue mir das Hotel an. 250 Euro hätte dort laut den an der Rezeption ausgeschlagenen Preisen die Übernachtung in der Suite gekostet. Als ich mich ohne ein Wort Richtung Türe drehte, bot man mir das Zimmer für 80 Euro an. Ausserdem gäbe es noch im Untergeschoss ein Zimmer für 20 Euro.

Wo der Kunde der Feind ist

Ich entschloss mich, das einmal anzuschauen.  Als die Hotelangestellte die Tür aufmachte, schlug mir ein moderiger Geruch entgegen. Als sie das Licht einschaltete, wusste ich wieso: Hinter einer Scheibe, die vermutlich den Blick auf einen Lichtschacht freigeben sollte, türmte sich die schmutzige Bettwäsche des Hotels.

In diesem Moment fragt ein anderer Hotelgast an der Tür, ob er einen zweiten Kleiderbügel haben könne.  Die Hotelangestellte schreit ihn erzürnt an: „Du hast doch schon einen. Du willst nichts zahlen und erwartest einen zweiten Kleiderbügel? Was ist los mit dir? Du bekommst hier, was zu bezahlst“. Der chinesische Gast schrie daraufhin zurück: “Du findest also, dass dir das den Freipass gibt, mich anzuschreien?”Ich nutze den Streit, um aus dem Hotel zu fliehen. Nach einer Weile komme ich illegal bei einer relativ schmuddeligen Billigunterkunft unter.

Warten auf den Sonnenaufgang: Am Wochenende kann es auf dem Gipfel etwas voller werden.

Warten auf den Sonnenaufgang: Am Wochenende kann es auf dem Gipfel etwas voller werden.

Noch bevor der Wecker klingelt, donnert es an der Tür. Ich weiss nicht, ob der Hotelbesitzer mit dem Fäusten gegen die Tür schlug, oder ob er dagegen trat – ich war auf jeden Fall auf der Stelle wach, zog mich an und machte mich auf, um in 20 Minuten zur höchsten Stelle des Berges zu laufen.

Die Sonne kommt hoch

Auf den Felsen sitzen bereits zahlreiche Chinesen in ihren gemieteten Militärmänteln und schauen Richtung Osten. Das Bild erinnert mich an Felsen im Meer, welche von Vögeln bewohnt werden. Kaum habe ich mich in die „Kolonie“ gesetzt,  erhebt sich der rote Feuerball über den Horizont. Unten sieht man das nebelige (oder versmogte) Flachland. Rund um mich kommt Bewegung in die Menschen. Sie zücken ihre iPhones, iPads und fetten Spiegelreflexkameras und fotografieren den Sonnenaufgang und sich selber vor dem Sonnenaufgang.  Fünf Minuten später sind alle vom Felsen verschwunden und ich sitze praktisch alleine dort.

Und so sah er dann aus, der "schönste Sonnenaufgang der Welt".

Und so sah er dann aus, der „schönste Sonnenaufgang der Welt“.

Ich bin noch immer müde und entschliesse mich, ins Hotelzimmer zurückzukehren. Nach 20 Minuten polterte es wieder an der Türe: „Check out!“. Inzwischen ist etwa  6.30 Uhr. Ich reagiere nicht. Kaum war ich eingeschlafen, klopfte es nach weiteren 20 Minuten erneut.  Nun rächte sich offenbar, dass ich nicht offiziell untergekommen bin und man mich vor einer allfälligen Polizeikontrolle los sein will. Immer noch müde und mit leichten Kopfschmerzen nehme ich die Seilbahn nach unten und fahre zurück nach Peking.

Praktische Infos

Falls Dich der Reisebericht oben nicht abgeschreckt hat und du noch immer auf den Taishan steigen willst (lohnt sich!), gibt es zum Abschluss noch ein paar praktische Infos:

  • Anreise: Ab Peking fahren derzeit täglich 14 Hochgeschwindigkeitszüge in rund zwei Stunden nach Taian, am Fusse des Taishans.
  • Unterkunft: Auf dem Gipfel sind die Hotels massiv überteuert oder schlecht – manchmal auch beides. Es ist daher besser, in Taian zu übernachten, wo es eine gute Jugendherberge gibt, und früh morgen loszuwandern. Am anderen Ende der Preisskala ist das Ramadan Plaza eine gute Option.
  • Aufstieg: Der Aufstieg dauert etwa fünf Stunden. Wenn du abkürzen willst, kannst du mit einem Bus/Taxi bis zum Fuss des Bergs fahren oder gleich die ganze Strecke mit der Seilbahn abkürzen. Da die Aussicht in den Gondeln schöner ist als auf dem Wanderweg, lohnt sich diese Fahrt zumindest auf einem Weg.
  • Kommunikation: Taian ist eine recht provinzielle Stadt, wo nur wenige Englisch sprechen. Davon solltest du dich aber nicht abhalten lassen. Hier gibts Tipps für Reisende, die kein Chinesisch sprechen.
  • Weitere lohnenswerte Ziele: Nur wenige Kilometer von Taian entfernt liegt die sehenswerte Kleinstadt Qufu, wo Konfuzius geboren wurde. Ebenfalls gut verbinden lässt sich dieser Trip mit einer Weiterreise nach Qingdao, der früheren deutschen Kolonie und dem Heimatort der bekannten Biermarke Tsingtao.
  • Weitere Reiseberichte: Ich bin natürlich nicht der einzige Reiseblogger, den den Taishan bestiegen hat. Falls du mehr Erfahrungen suchst, findest du diese bei Britta vom Looping Magazin und bei Andreas von Gipfelfieber.

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9 Kommentare

  1. Hallo Oli, schöner Bericht! Meine erste „richtige“ China-Reise fernab von Hongkong, Macao und Shenzen steht noch immer aus. Aber in den nächsten eins, zwei Jahren komme ich bestimmt u. a. in Peking vorbei. Und von dort ist es ja nur noch einen Katzensprung bis zum Taishan. Zum Glück gibt´s eine Seilbahn 😉 Viele Grüße, Heiko

    1. Hallo Heiko,

      vielen Dank füs Lob. Bei China kann ich nur empfehlen, so schnell wie möglich zu gehen. Der Grund: Immer mehr Chinesen können sichs leisten, im eigenen Land zu reisen. Das hat zur Folge, dass die Sehenswürdigkeiten ständig voller und vor allem auch teurer werden. Viele Dörfer verlangen Eintrittsgelder von über 10 Euro – und erhöhen die Preis ständig. Wenn du da jeden Tag an einem anderen Ort bist, kommt einiges zusammen.

      Gruss,
      Oli

  2. […] Beim Sinographen gibt es einen ehrlichen Bericht über den heiligen Tai Shan bei Peking. […]

  3. […] der Nacht auf den Berg um den „schönsten Sonnenaufgang der Welt“ zu erleben. Oliver von Sinograph hat darüber […]

  4. Hi Oliver,

    ich hab’s getan, ich bin die Stufen zum Tai Shan hinaufgestiegen. Allerdings am Tag. Dein Artikel war definitiv eine Inspiration!
    Liebe Grüße britta

    1. Hi Britta,
      cool. Hab gerade den Pingback gesehen und deinen Beitrag in meinem Artikel verlinkt. 🙂
      Oli

  5. […] Beim Sinographen gibt es einen ehrlichen Bericht über den heiligen Tai Shan bei Peking. […]

  6. Hallo Oliver,
    vielen Dank für Deinen lebendigen Reisebericht zum Aufstieg auf den Tai’shan.
    Ich war vor 25 Jahren dort und hatte mir eigentlich versprochen mit 50, also vor fünf Jahren, nochmal als Backpacker nach China reisen. Aufgrund der rasanten Veränderungen in China hatte ich aber befürchtet, daß meine bunten Erinnerungen von der grauen Moderne überlagert würden, und ich die Reise bereuen könnte. Als ich Deinen Bericht las, musste ich zweimal hinschauen. Warst Du 2012 dort oder 1995? Es hat sich nichts geändert! Die Dosen waren damals auch schon so hipp, dass sie teurer als eine ganze Flasche verkauft werden konnten. Nur waren die Einheimischen damals freundlicher zu mir, weil ich eine der wenigen Auslanderinnen war und China sich gerade öffnete. Jeder wollte gerne Englisch sprechen und wer ganz mutig war, bat nach einem Foto zusammen mit der „langen Frau“. Auch mir waren die Militärmäntel eine Rettung. Ob sie zwischendurch mal gereinigt wurden? 😉 Einzige freie Unterkunft war ein so schäbbiges Zimmer mit vollgesch…. Plumpsklo im Innenhof, dass ich froh war, als ich um 5:00 raus konnte und garantiert nicht zurück gegangen bin. Wasserknappheit und das Wasser musste von Wasserträgern auf den Berg getragen werden.
    Damals konnte man auf der Hälfte des Berges in einem Kloster übernachten, was ich beim Aufstieg auch gemacht habe. Beim Abstieg wollte ich nur noch weg. Grosser Fehler. Nach 6293 Stufen in zweieinhalb Stunden unten angekommen, waren meine Waden so übersäuert, dass ich kaum noch gehen konnte und danach zwei Tage im damals besten Hotel der Stadt in der Wanne lag, um den Schmerz zu lindern. Und trotz allem möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Es war eines der Reiseerlebnisse, die ich noch einen Enkeln erzählen werde. Ich liiiibe dieses Land!
    Vielleicht fahre ich ja doch nochmal hin?!

    1. Hi Lia,

      manche Dinge haben sich in China gewaltig verändert, andere sind in den bald 20 Jahren, die ich im Land unterwegs bin, praktisch gleich geblieben. Manche Entwicklungen gefallen mir, andere nicht.

      Wenn du nun noch einmal nach China reist, wirst du in ein ganz anderes Land kommen. Das ist einerseits sicherlich total faszinierend und spannend, andrerseits wird es wohl auch weh tun, wenn es das Land deiner Erinnerungen so nicht mehr gibt. Andrerseits: Wenn du dir etwas mehr Zeit nimmst, wirst du merken, dass nun vor allem die Fassade stärker glänzt, aber dahinter eigentlich noch das Gleiche steckt wie bei deiner letzten Reise.

      Falls du es tust und dich dann noch an meinen Blog erinnerst, würde ich mich freuen, wenn du mir erzählst, wie du das erlebt hast…

      Oli

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