Tempel

Malerische Innenhöfe: Auch das Innere des Tempels des Schwarzen Drachens über Qikou besteht aus alten Yaodongs. Fotos: O. Zwahlen

Nordchina ist für seine aussergewöhnlichen Wohnhöhlen bekannt. Besonders viele dieser Yaodong genannten Bauwerke kannst du im hübschen Dorf Qikou im Westen von Shanxi besuchen. Hier erzähle ich dir, was ich dort erlebt habe und was du dort sehen kannst.

„Du wirst noch an meine Warnung denken“, sagt Herr Li. Er drückt heftig auf die Hupe und dann aufs Gas. Ein Fussgänger hat ihm den Weg abschneiden wollen. Fünf Sekunden später stehen wir wieder im Stau. „Dort gibt es überhaupt nichts zu sehen“, fährt er fort. Es sei einfach ein altes Dorf. Ein Scheissort. Herr Li schüttelt den Kopf und zieht lauthals den Schleim hoch.

Ich befinde mich in einem Taxi im Stau von Lishi, einer langgezogenen, staubigen Kleinstadt weit im Westen der Provinz Shanxi. Fahrer Li stammt ursprünglich aus Qikou, dem Ort, den ich heute besuchen will. Doch bereits vor Jahren hat er den Ort verlassen, um sein Glück hier in der grösseren Stadt zu suchen. Vom Bauer zum Taxifahrer ist in dieser Region ein sozialer Aufstieg.

Das Gespräch zeigt: Reisen ist immer auch ein Zusammenprallen von unterschiedlichen Wahrnehmungen. Denn für mich ist nicht sein Heimatdorf, sondern Lishi der ultimative „Scheissort“. Der Ort ist zu klein, um die Annehmlichkeiten einer Grossstadt zu bieten. Aber bereits zu gross, um nicht deren Nachteile zu veranschaulichen.

Vielleicht bin ich nach meinen Erlebnissen am Busbahnhof auch etwas voreingenommen. Als ich im protzigen Neubau fragte, von wo der Bus nach Qikou fährt, log mich die Frau hinter dem Schalter ohne mit der Wimper zu zucken an. Es gebe keinen, sagte sie. Ich müsse die Strecke mit einem der herumlungernden Taxifahrer zurücklegen.

Blick vom Tempel auf Qikou kurz vor dem Santsturm.

Blick vom Tempel auf Qikou kurz vor dem Sandsturm.

Da ich weder Lust hatte, eine überteuerte Taxifahrt zu bezahlen, noch der Staatsangestellten eine Provision für diese Lüge gönnte, verliess ich das Busterminal wieder. Auf der Strasse erfuhr ich von einem Polizisten, dass mein Bus von anderen Ende der Stadt fährt. Einmal pro Stunde. Ich stieg ins Taxi zu Herrn Li.

Vom Leben in den Wohnhöhlen

Auf meinen Zugfahrten durch den Norden von China ratterte ich häufig an Siedlungen mit Wohnhöhlen vorbei. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es ist, in einem dieser Gebäude zu leben. Vor einigen Jahren besuchte ich im nahe gelegenen Yanan das frühere Wohnhaus von Mao Zedong. Aber das war eher ein Museum und eine Pilgerstätte, als ein Wohnhaus.

Als ich am späten Nachmittag in Qikou ankam, warteten bereits ein paar Frauen auf Kundschaft. Ich suchte mir eine ältere Dame aus, die mir sympathisch war. Die Angebote waren weitgehend identisch: 100 Yuan kostet ein Zimmer einschliesslich Essen. Da ich lieber auswärts speise, konnte ich den Preis auf 60 Yuan drücken. Das sind rund 10 Euro pro Nacht.

Kunstfertig: Fast alle Wohnhöhlen verfügen über fein verzierte Fenster.

Kunstfertig: Fast alle Wohnhöhlen verfügen über fein verzierte Fenster.

Das Haus, zu dem mich meine Vermieterin führt, ist atemberaubend. Es ist etwa 300 Jahre alt und war einst von einem reichen Grundbesitzer errichtet worden. Rund um einen Innenhof drapieren sich 16 Wohnhöhlen. Als die Kommunisten an die Macht kamen, wurde der Besitzer enteignet und die Wohnungen an arme Familien verteilt. Jeweils eine Familie erhielt eine Höhle von vielleicht 15 Quadratmetern.

Während ich auf der Holzbank vor meinem Zimmer sitze und auf den Innenhof starre, versuche ich mir vorzustellen, wie es vor 50 oder 60 Jahren zugegangen sein muss, als mindestens 60 Menschen hier lebten. Inzwischen ist das Haus wieder leer. In Qikou fehlt es an Arbeitsmöglichkeiten und die Menschen ziehen wie Herr Li in die Städte. Nur noch meine Vermieterin lebt im alten Gebäude. Drei Zimmer vermietet sie im Auftrag von Verwanden. Die anderen Höhlen sind leer. Die Papierfenster zerrissen, das Holz an den Türen und Fenstern abgeschossen.

Spaziergang durch das Dorf

Inzwischen ist später Nachmittag. Die tiefstehende Sonne spiegelt sich im Gelben Fluss, der am Dorf vorbeirauscht. Ich mache mich auf, das Dorf zu besuchen. Der Ort macht einen etwas unentschiedenen Eindruck. Hier und da sind Renovationsarbeiten im Gang. Wohl versucht man die ehemalige Garnisonenstadt für Besucher flott zu machen.  Vieles ist noch immer im Zustand des Zerfalls.

Majestätosch: Der Gelbe Fluss strömt direkt an Qikou vorbei.

Majestätisch: Der Gelbe Fluss strömt direkt an Qikou vorbei.

Ich spaziere zum Tempel, der über dem Ort thront. Heftiger Wind bläst mir Sand ins Gesicht. Schon bald knirscht es zwischen den Zähnen. Die Region ist für ihre Sandstürme im Frühling bekannt. Einige hundert Kilometer weiter östlich liegt in diesen Minuten die Hauptstadt Peking in gelben Dunst gehüllt. Während ich im Tempel sitze und auf das staubige Dorf blicke, blättere ich immer mal wieder durch eindrückliche Weltuntergangsfotos, die Freunde von mir in den Social Media Kanälen posteten.

Ausflug nach Lijiashan

Nur ein Steinwurf von Qikou entfernt befindet sich das kleine Dorf Lijiashan. Es gehört angeblich zu den Orten mit den meisten noch erhaltenen Yaodong-Häusern, wurde mir erzählt. Ob das so stimmt, weiss ich nicht. Denn laut einer Schätzung aus dem Jahre 2006 lebten damals in ganz Nordchina noch etwa 40 Millionen Menschen in diesen alten Häusern.

Nicht ohne Grund, denn die Bauweise eignet sich hervorragend für das hiesige Klima. Die dicken Lehmwände sorgen im Sommer wie auch immer Winter für eine hervorragende Isolation, so dass sich die Räume mit einen relativ geringen Energieaufwand auf angenehme Temperaturen heizen lassen. Im Sommer sind die Wohnungen angenehm kühl.

Die Yaodong-Häuser sind in Lijiashan an einem Hang gebaut.

Die Yaodong-Häuser sind in Lijiashan an einem Hang gebaut.

Unabhängig davon, ob Lijiashan in besonderes grosses Dorf ist oder nicht: Es schmiegt sich eindrücklich an einen steilen Hang. Anders als in Qikou, wo die Mauern der Häuser oft künstlich in die Höhe gezogen sind, besteht Lijiashan zum grossen Teil aus echten Höhlen, die in den weichen Lössboden gegraben wurden.

Praktische Tipps

Anreise: Für die Anreise nach Qikou musst du zuerst nach Lishi. Die nicht gerade schöne Kleinstadt verfügt über einen Bahnhof (Es gibt derzeit pro Tag einen direkten Bummelzug nach Peking, der etwa 6 Stunden benötigt und meistens voll ist sowie eine handvoll Züge nach Taiyuan. Lese hier meine Tipps zum Fahren mit der chinesischen Eisenbahn.) Mehr Verbindungen gibt es mit dem Bus. Beachte, dass der Bus nach Qikou nicht vom zentralen Busbahnhof losfährt, sondern von einem Platz im Norden der Stadt, den du ab dem Zentralbusterminal mit dem Stadtbus der Linie 1 erreicht. (Wenn du aus dem Busbahnhof rauskommst in Fahrtrichtung links).

Unterkunft: Du kannst entweder in Qikou oder etwas günstiger in Lijiashan übernachten. Reservationen sind nicht erforderlich und vermutlich auch gar nicht möglich. Beachte: Die Unterkünfte sind sehr einfach und oft etwas schmuddelig. In den Höhlen ist es auch im Sommer ziemlich kühl. Bei meinem Besuch im April lag die Raumtemperatur bei etwa zehn Grad. Pack also etwas Warmes ein. Bei meinem Besuch gab es keine Probleme mit Bewilligungen für Ausländer.

Panorama-Aufnahme vom Innenhof meines Hotels.

Panorama-Aufnahme vom Innenhof meines Hotels.

Eintritt: Der Besuch von Qikou und den benachbarten Dörfern ist kostenlos.

Reisezeit: Ich besuchte die Region Anfang April und hatte unglaubliches Glück mit dem Wetter: Obwohl die Kohleprovinz Shanxi allgemein als ziemlich stark verschmutzt gilt, hatte ich einen strahlend blauen Himmel mit sehr angenehmen Tagestemperaturen. Nur einmal zog für ein paar Stunden ein Sandsturm auf.

Kommunikation: Qikou wird zwar im einen oder anderen Reiseführer  erwähnt, befindet sich aber trotzdem ziemlich weit abseits von den üblichen Trampelpfaden.  Bei meinem Besuch hatte es auch nur wenige chinesische Touristen.  Das heisst, im Ort ist man nicht auf ausländische Reisegäste eingestellt und bei der Kommunikation braucht es etwas Geduld. Grundsätzlich empfehle ich meine Tipps zur Kommunikation in China durchzulesen.

Weitere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung: Die beiden naheliegenden Reiseziele sind die Ming-Stadt Pingyao (Unesco-Weltkulturerbe) und dem Revolutionsort Yanan. Mein persönliches Highlight in der Region sind übrigens die zivilen Burgen im Süden von Shanxi, allerdings ist die Region etwas schwierig zu bereisen und deswegen bei kaum auf dem Radar von Besuchern.  Ein Besuch der Provinzhauptstadt Taiyuan lohnt sich nicht.

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